Guten Abend, Gute Nacht
dem Fahrer.
»Ich muß zur Hausnummer dreiundsechzig fünfzehn auf dem Boulevard.«
»In West New York?«
»Genau.«
»Das ist noch ein ganzes Stück. Ich werd Ihnen Bescheid sagen.«
»Danke.«
Ich betrachtete den Fluß und die New Yorker Skyline dahinter, abwechselnd atemberaubend oder nicht zu sehen, je nachdem, ob jemand ein wuchtiges Haus mit Eigentumswohnungen zwischen Ufer und Straße gebaut hatte oder nicht. Erkennen konnte ich lediglich den Zwillingsturm des World Trade Center, das Empire State Building und das Citicorp Building, das wie ein weißer Roboter mit Visier aussah. Auf dem Hudson pflügte ein elfenbeinfarben und rotes Ausflugsboot Richtung Norden. Diesseits des Flusses lagen auf der landeinwärts gelegenen Seite des Boulevard Tankstellen, Büros der Elks und der VFW und jede Menge Beerdigungsinstitute. Dazwischen altmodische, zweistöckige Einwanderer-Häuser, die in der zweiten Generation schon mit Bruchsteinen statt Holz gebaut worden waren. Jetzt dank der Yuppies, die wahrscheinlich gerade im Begriff standen, die dritte Generation von dort zu vertreiben, verunstaltet durch Panoramafenster und Sonnenterrassen.
»Die nächste Haltestelle, Freund.«
»Danke.«
Nummer 6315 war ein vierstöckiges Apartmenthaus aus gelbem Ziegel auf der landeinwärts gelegenen Straßenseite. Ms. Zerle reagierte genausowenig auf die Klingel wie zuvor auf das Telefon. Ich versuchte mein Glück mit der Klingel des Hausmeisters und erwischte einen Malocher-Typ mit einem schmutzigen karierten Hemd und einer Dose Piels in der Hand. Als ich mich nach Ms. Zerle erkundigte, gestikulierte er auf einen Grasstreifen mit Bänken auf der anderen Straßenseite und machte die Tür bereits wieder zu. Auf die Frage, wie ich sie erkennen könnte, antwortete er: »Agnes können Sie gar nicht übersehen. Sie ist die einzige Braut, die sowohl graue Haare hat, als auch einen Bikini trägt.«
Ich bedankte mich und überquerte die Straße.
Vermutlich konnte man es einen Park nennen. Es gab ein paar junge Mütter, die sich mit ihren Kindern in Buggies und untereinander in fremden Sprachen oder gebrochenem Englisch unterhielten. Hauptsächlich gab es jedoch alte Menschen, selbst im warmen Mai-Sonnenschein dick eingemummelt, vielleicht dreimal soviel Frauen wie Männer.
Auf einem Liegestuhl ausgestreckt, lag neben zwei jungen Männern eine Frau in einem Tiger-Bikini. Sie sah wie ungefähr siebzig aus; ihre Haut hatte diese lederartige Struktur, die sie bei älteren Menschen annimmt, wenn die zu lange in der Sonne bleiben. Die beiden Männer hatten schwarzes, kurzgeschnittenes Haar. Zwischen ihnen stand ein gewaltiger Ghetto-Blaster. Sie trugen eine Menge Kokosöl und winzige Badehosen.
Die Frau klopfte den Rhythmus mit einem Finger auf das schlaffe Fleisch ihres rechten Oberschenkels, konzentrierte sich mehr als die Männer auf die Musik.
Ich sagte: »Entschuldigen Sie, sind Sie Ms. Zerle?«
Sie schlug die Augen auf, stemmte sich auf einen Ellbogen hoch. »Ja?«
»Mein Name ist John Cuddy. Ich hätte gern ein paar Informationen über jemanden aus dem medizinischen Personal des Central Hospital.«
»Wie kommen Sie drauf, daß ich ihn kenne?«
»Wie kommen Sie drauf, daß es ein Mann ist?« Achselzuckend legte sie sich zurück. »Weil Frauen zu meiner Zeit nicht gerade dazu ermuntert worden sind, Ärztin zu werden, daher kenne ich auch nicht viele, die es trotzdem geworden sind. Und Sie kenne ich überhaupt nicht, und ich bin nicht interessiert, irgendwelche Fragen zu beantworten, also, warum verpissen Sie sich nicht einfach?«
»Ms. Zerle, ich bin im Rahmen eines verdammt harten Jobs sehr weit gefahren, und ich wäre Ihnen für ein paar Minuten wirklich sehr dankbar. Ich habe...«
»He, Agnes«, sagte einer der Burschen, sah zuerst mich, dann sie an. »Sollen wir dir den Kerl vom Hals schaffen?«
Es juckte mich, aber ich war nicht da, um zu kämpfen. Bevor sie ihm antworten konnte, sagte ich: »Ms. Zerle, Diana Ross schickt mich zu Ihnen.«
Der andere Bursche fluchte und wollte sich schon aufsetzen, doch Agnes sagte mit einem warnenden Unterton »Tony...«, also blieb er liegen. Sie sah mich wieder an und fragte: »Wer hat Ihnen gesagt, daß Sie das sagen sollen?«
»Ein Typ im Krankenhaus. Er hat mir das hier gegeben.«
Sie nahm mir den Zettel aus der Hand, faltete ihn auseinander und las. Sie lachte, gab ihn zurück. »Das ist allerdings seine Schrift. Wieso gehen wir nicht ein Stückchen weiter zum Fluß runter. Zu der
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