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Guten Abend, Gute Nacht

Guten Abend, Gute Nacht

Titel: Guten Abend, Gute Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeremiah Healy
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irgendwann Anfang der siebziger passiert. In den Akten dürften die genauen Daten und alles stehen, falls die Akten immer noch da sind, und das waren sie, als ich vor vier Jahren gegangen bin. Marek kam als Assistenzarzt zu uns in die psychiatrische Abteilung. Er absolvierte seine zwei Jahre. Ich glaube, er hat nicht direkt nach dem College Medizin studiert, denn er kam mir irgendwie älter als die anderen Assistenzärzte vor, aber das kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Wie auch immer, er kam jedenfalls zu uns und erhielt einige Gruppen und Einzelpersonen zugeteilt und begann mit deren Behandlung. Es dauerte eine ganze Weile, bevor irgend etwas... bevor jemand anfing, etwas zu sagen, aber irgendwas stimmte mit ihm nicht. Er schien sich am meisten für einige der leichtesten Fälle zu interessieren und einfach zuviel Zeit mit ihnen zu verbringen und nicht genug für manche der wirklich schweren und ernsten Fälle, die er ja auch hatte. Normalerweise bedeutet das, daß der Stationsarzt oder sogar ein noch höher rangierender Arzt mit dem Betreffenden sprechen muß, und der bringt dann anschließend seine Prioritäten in Ordnung. Bei Marek aber, ich weiß auch nicht, es war kein Versehen, sondern Absicht, daß er sich in seiner knappen Zeit immer eher um die weniger kranken Patienten gekümmert hat. Und komisch war, daß er mit seinen anderen Patienten durchaus gut zurechtkam — mit den wirklich schweren Fällen, meine ich. Er leistete mindestens durchschnittliche Arbeit, wenn man von Ergebnissen sprechen will. Alle, die mit ihm zu tun hatten, sahen, daß er ein echtes Händchen dafür hatte, eine Beziehung zu den meisten Kranken aufzubauen, und ich glaube, deshalb gefiel es uns nicht, daß er mit ihnen nicht mehr Zeit verbrachte, damit sein Talent ihnen mehr nützen konnte. Dann haben einige der Patienten...« Sie schaute auf.
    »Ja?«
    Sie senkte ihren Blick wieder. »Die schwarzen Patienten, sie fingen an, was rumzuerzählen. Zuerst nur unter sich selbst, dann redeten einige der Mutigeren auch uns gegenüber — mir gegenüber, heißt das. Daß Marek sie, nun, für sexuelle Handlungen benutzte. Zunächst tut man solches Gerede ab. Ich meine, man kann wirklich nicht alles für bare Münze nehmen, was die meisten der Patienten sagen, weil eine ganze Menge von ihnen gerade wegen dem dort sind, was sie so alles von sich geben. Aber das Gerede, nicht so sehr Klagen als vielmehr einfach Tratsch, geriet allmählich außer Kontrolle. Und dann hat einer von ihnen...« Sie sprach nicht weiter, doch diesmal sah sie mich nicht an, damit ich ihr soufflierte. Ich sagte nichts.
    Zerle machte ein schnalzendes Geräusch. »Einer der Patienten hat die Schnur von einer Jalousie abgerissen und sich erhängt. Er ließ eine Art Abschiedsbrief zurück, über Marek. Das brachte das Faß zum Überlaufen. Ich dachte, wenn ich nur früher etwas unternommen hätte. Aber der tote Patient war schwarz, mittellos und hatte keine uns bekannten Angehörigen, also hatte die Geschichte keine unmittelbaren Konsequenzen für das Krankenhaus. Es wurde eine interne Untersuchung eingeleitet, und kurz darauf hat Marek uns verlassen.« Sie machte nicht den Eindruck, als wolle sie weiterreden, also sagte ich: »Als Marek sich in Massachusetts niederlassen wollte, lag seinem Antrag eine Bescheinigung seiner letzten Arbeitsstelle in Illinois bei, aus der hervorging, daß er ein fähiger Arzt mit gutem Leumund war.«
    »Wahrscheinlich, ja.«
    »Aber wie das?«
    »Was meinen Sie?«
    »Wie konnte er mit so einer Schweinerei in der Personalakte von hier auch nur nach Philly gehen, was sein nächster Zwischenstopp war, geschweige denn nach Chicago und anschließend nach Boston?«
    Ein schwaches, wissendes Lächeln verblaßte schnell. »Wir haben ihn nicht gefeuert, Mr. Cuddy. Wir haben ihm erlaubt, seine Assistenzzeit bei uns vorzeitig abzubrechen.«
    »Warum?«
    »Wegen dem, was er getan hat.«
    »Ja, aber wieso wurde ihm erlaubt, einfach so zu gehen? Wieso hat man ihn nicht gefeuert?«
    »Ich hätte es sicher getan. Leider hatte ich nicht mitzuentscheiden und konnte die Notwendigkeit der getroffenen Entscheidung zur damaligen Zeit auch durchaus nach vollziehen.«
    »Könnten Sie mir das bitte erklären?«
    »Ich will es versuchen.« Sie beugte sich vor, unterstrich ihre Worte mit den Händen. »Nehmen wir einmal an, Sie leiten ein Krankenhaus, okay? Sie haben Berge Rechnungen für eine Menge von Dingen, vor allem für neue Ausrüstung. Aber eigentlich

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