Guter Rat ist leise
Streit – Gott sei Dank! Sekunden später hatte ich mich wieder im Griff. Ich konnte meine Gefühle und Gedanken wieder sortieren und wieder positive Gefühle und Gedanken an Tony senden. Leise – viel zu leise für den großen Abstand – rief ich Tony. Der drehte sich zu mir um und kam angerannt, so schnell ihn seine kleinen Beinchen trugen. Er sprang mir auf den Arm, wedelte, leckte mich ab. Tränen stiegen mir in die Augen. Später stand ich vor dem Spiegel, dem richtigen aus Glas, schaute mich an: „Du blöde Kuh!“
(Foto: Tierfotoagentur.de/S. Schwerdtfeger)
Hier noch ein weiteres Beispiel:
Corinna hatte den Schäferhund-Collie-Mix Rocky. Den Hund hatte sie sich geholt, nachdem ihr erster Hund verstorben war. Corinna lebte mit ihrer Lebensgefährtin Regine in der Großstadt. Von Anfang an gab es Probleme mit dem Welpen. Er wurde von anderen Hunden gebissen, Gehorsam gab es gar nicht, stubenrein wurde er erst sehr spät, er verletzte sich laufend, war krank und sah den Tierarzt öfter als seine Frauchen. Die waren mit ihm sehr vorsichtig: Sie fütterten ihn nur mit Hirschfleisch und gekochtem Reis, weil sein Darm rebellierte. Er ging vorwiegend an der Leine, da er sonst weglief und sich verletzte. Als Rocky zwei Jahre alt war, wurde er allmählich wirklich „sonderbar“. Er ließ sich nach dem Baden nicht mehr abtrocknen, reagierte zunächst ängstlich, später aggressiv. Dann ließ er sich nicht mehr bürsten – auch hier reagierte er zunächst ängstlich, dann aggressiv. Auch vor dem Anlegen des Brustgeschirrs hatte er Angst. Die Besitzerinnen fuhren von Hundetrainer zu Hundetrainer, von Tierpsychologe zu Tierpsychologe. Nichts half. Irgendwann eskalierte die Situation bei einem der Trainer derart, dass Rocky im Sprung eines seiner Frauchen in den Kragen ihres Mantels biss. Mittlerweile reagierte Rocky auch auf andere Hunde höchst aggressiv.
So kamen die drei bei uns an. Corinna, groß gewachsen und mit einem sehr aufgesetzten Selbstbewusstsein, Regine, klein, sehr nervös und ängstlich und Rocky, eine komplette Mischung aus beiden Frauen. Wir versuchten eine Woche lang alles, um die beiden Menschen „umzukrempeln“. Die waren jedoch so sehr in ihre vielfältigen Probleme verstrickt, dass wir sie dort nicht herausholen konnten. Sie fühlten sich durch Rocky teilweise sehr eingeschränkt (denn Rocky konnte auch nicht alleine bleiben) und verglichen den armen Rocky immer mit ihrem früheren Hund, der natürlich in ihrer Erinnerung keinerlei Fehler gemacht hatte. Außer allen Problemen seiner Menschen bekam Rocky also auch noch zu spüren, dass er ihren Anforderungen nicht gewachsen sein konnte.
Die drei wollten eigentlich für drei Wochen bleiben – nach einer Woche schickte ich die Frauchen heim in ihre Stadt und behielt Rocky erst einmal bei uns. Auf die Entfernung – uns trennten immerhin 1000 Kilometer – versuchte ich sie davon zu überzeugen, dass ihr Denken und Fühlen „umgekrempelt“ gehört. Rocky bekam bei uns derweil einen Zwinger zwischen einer Hündin und einem Rüden, normales Hundefutter und, wie alle anderen unserer Hunde, regelmäßig frisches rohes Fleisch.
So ging es mehrere Wochen. Rocky hatte sich zwar in der Zwischenzeit an die anderen Hunde gewöhnt, mit der Hündin spielte er sogar manchmal, auch seine physische Gesundheit war bestens, aber jeden Abend riefen nach wie vor seine Frauchen an. Rocky reagierte extrem auf diese Telefonate, ob er dabei war oder nicht: mal aggressiv, mal mit Depression. Während ich eines Tages mit den Frauchen telefonierte, war Rocky mit unserer Tierpflegerin im Wald unterwegs. Sie erzählte mir später, dass er von einem Moment auf den anderen aufhörte zu spielen und missmutig neben ihr her trottete. Du siehst, auf welch große Distanzen die Gedanken und Gefühle wirken.
So ging es einfach nicht weiter. Ich beschloss, die Telefonate zu unterbinden. Es kam, was kommen musste: Wieder mehrere Wochen später sollten die Frauchen ihren korrigierten Hund abholen. Rocky war in den ganzen Wochen ein normaler Hund gewesen, kam sofort, wenn wir ihn riefen, spielte mit anderen Hunden, ließ sich baden, abtrocknen, bürsten. Ich schickte alle drei allein ein Stück spazieren. Nach zehn Minuten kam Rocky zurück – alleine. Corinna und Regine sah ich auf einer große geschnappt. Jetzt war sein Schicksal besiegelt: Er musste von diesen Frauchen weg. Lange Gespräche folgten, Rocky blieb also erst einmal bei uns, bis ein Zuhause bei anderen
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