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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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streckenweise heftiger werdendem Rhythmus einritt – mit sichtbarem und hörbarem Gefallen. Auch mir gefiel’s, notgedrungen zurückhaltend bis bewegungslos wie beim Bondage auf dem Rücken liegenbleiben zu müssen, was der Situation eine anhaltend steife Note gab. Dabei lenkte mich der Schmerz im kaputten Fuß so sehr ab, daß bis zur Ejakulation ungewohnt lange Zeit verging – reichlich geschenkte Orgasmuszeit, ohne manipulative Hilfsmittel gewonnen und damit echt, was Ella, wenn mich nicht alles täuschte, weidlich nutzte. Die Verletzung entlastete uns beide, die Frau konnte, mußte bei dieser Aktion mit einem Versehrten führen, deutlich männliche Gestik verbot sich. Die mir aufgezwungene Passivität war weder der unterwürfigen Heuchelei noch einer luststeigernd gewählten Fesselungsstellung verdächtig, sondern spontan und glaubwürdig entstanden, la vie en rose. Die rote Fußharke im Rücken, das schmerzbedingte Berührungsverbot im Sinn, mußte die aufsitzende Ella mit einem engen Spielraum auskommen, den sie mit der Gunst der dadurch erhöhten Spannung befriedigend bewirtschaften konnte. Für eine erste Nacht konnte niemand mehr erwarten.
     
    Gleich beim ersten Satz im Café hätte sie gewußt, wer ich sei – sie kannte meine Stimme vom Radio. Seit zwei Jahren sprach ich freitags früh einen kritischen Wochenkommentar, thematisch frei und selbst verfaßt, eine im Vergleich mit sonstigen Unwägbarkeiten relativ sichere, regelmäßige Einkommensquelle. Es passierte jedoch zum ersten Mal, daß jemand meine zu nachtschlafener Zeit in öffentlich-rechtlichen Sendern zu hörende Stimme wiedererkannte, wenn sie irgendwo im realen Leben ertönte. Ella ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte, weil sie etliche meiner Kommentare zusätzlich auf der Website des Senders nachgelesen hätte, wüßte sie auch über die wesentlichen Züge meines Charakters Bescheid – eine zu Beginn einer Beziehung raffiniert zwiespältige Äußerung. Sie konnte für einen selbstdeutungsseligen Mann von narzistischem Reiz sein, auf längere Sicht ließ sie jedoch ein erhebliches Unschärfe-Potential befürchten. Mehr noch: Die anmaßende Haltung brachte mich auf, eine erste – Achtung! – Emotion.
     
    Auch mir kam ihre Stimme bekannt vor, ihre Bettstimme zumindest. Von den ersten Momenten der Umarmung an schien es so, als folgte ich ihr, einer bewährten und im Gedächtnis aufbewahrten Stimme. Wo und wann hatte ich sie schon einmal gehört? Nicht in der exakt selben Lage, ihr aber im Timbre schwesterlich nah. Schon zuvor hatte ich bei Ella äußere Ähnlichkeiten mit jemandem aus meiner Vergangenheit eher gespürt als festgestellt – bei den Gesichtszügen, der Haut, Haarfarbe und Frisur, den Gesäßrundungen, den Oberschenkeln, in einer Form, die ich als Teenager weltmännisch raunend Champagnerschenkel genannt hatte … Doch erst im Bett mit Ella, das heißt, umständehalber auf dem Bett bekleidet liegend, wurde mir klarer, womit ich es zu tun hatte. Mit einer Stimme, die mir vertraut war, die aus einer anderen Zeit, einem anderem Raum, wieder zu mir kam und die gleiche, tiefenbewußte Ouvertüre der Lust – mit ihren weich ausgehauchten, auch breiter gestöhnten Seufzern, mit einer akkustischen, tonalen Wiederholung auch einzelner Worte, kleiner Sätze, und mit kehlig betonten bis leicht aggressiv ausgesprochenen Imperativen wie »fick mich, jajaja, fick mich jetzt«, auf die ich nicht direkt zu antworten wußte und die in meinen nachlauschenden, unjungen Ohren alt, sogar altmodisch klangen. So vögelte ich mich immer tiefer in einen Widerspruch hinein, während Ella ihre eindringlichen, sicher mit den besten Absichten formulierten Kurztexte wiederholte, »du und ich, du und ich, du und ich, ja«, dieses »ja« jeweils mit einem sportlich knapp gehalten a. Kein Dreier also, dachte ich, wir zwei, du und ich, darüber hinaus wäre im Moment sonst niemand auf der Bildfläche. Ihre Versuche, mit diesem melodischen Sprechgesang womöglich eine nachhaltige Suggestivwirkung erreichen zu wollen, verstimmten mich ein wenig – nicht nur wegen einer möglicherweise beginnenden Altersprüderie. Sie hatten etwas Unglaubhaftes, durch Realität und Fiktion längst Vernutztes und trieben mich dennoch voran.
     
    Natürlich wußte ich, daß es so eine Stimmgleichheit nicht gab – doch später in der Nacht huschte öfter der verstörende Gedanke durch mein Hirn, Ella sei eine Wiedergängerin, eine per Zeitmaschine zurückgekehrte

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