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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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neueren Geschichten herrühren, von diesem oder jenem für sie hoffnungslosen Fall … In früheren Suffphasen hatte ich sie häufig ladylike nach Hause wanken sehen, sich vorsichtig an vornehmen Häuserwänden und Zäunen vorantastend. Auch in unserer früheren Stammbar mußte sie sich den Weg zur Toilette entlang den holzgetäfelten Wänden ertasten, ohne für mich, den Ex-Geliebten, dabei mehr als einen getrübten Zweipromille-Blick zu haben – nur einmal, auf meine versuchte Hilfestellung hin, knallte sie mir aus dem Handgelenk ein Whiskeyglas an die sofort blutende Stirn … Vergessen, meine Liebe, das war’s, die Liebe als Diminutiv, Liebe, Liebelei, Liebesleiche. Ich kannte nicht mal ihre jetzige Wohnung, ein Loch, sagte mir irgendwer, Souterrain, niedrige Decke, die von ihr geliebten, feinen Adressen konnte sie vergessen, perdu, unser schönes Hamburg 13 , Isestraße, Hallerstraße, Hochallee und Klosterstern.
     
    Alles in Ordnung –
    Ja … du … Moment, doch ja …
    Lange nicht gesehen …
    Ja …, … ja, warte mal, Sekunde …
     
    In allernächster Zeit – das verriet ihr krankes Ja – würde sie wieder in den Entzug gehen, von der Bühne verschwinden, die wir sowieso nicht mehr bespielten … schon lange her, die vier gemeinsamen Jahre, die einzige Phase, die sie abstinent durchhielt – das, sagte sie einmal, verdanke ich dir. Diesmal würde sie einen härteren Entzug erleben, über Monate und Monate, bei ihren Talenten würde sie sich in der Klinik in einen ebenfalls Entziehenden verlieben, was die Ärzte gar nicht gerne sehen – womöglich selbst an einer scharfen, nur leicht desorientiert schwächelnden Patientin interessiert. Manche warnten vor diesem Phänomen unter Ex-Trinkern, denn dabei weiche eine Sucht der nächsten, was den Patienten anfänglich nütze, doch am Ende, am Ende der Verliebtheit, drohe große Rückfallgefahr. Toxt sie wieder, hatte mich einer der Ärzte aus ihrer letzten Entzugsklinik vor Wochen auf einer Party gefragt. Ja, sie toxte wieder.
     
    Bist du noch dran?
     
    Dem herausgeblasenen Atem folgte nichts, nur eine Pause – sie schien abwesend, in einer Art Halbschlaf. Einer ihrer unerlösten Zustände, der in den süßen Zeiten ein Versprechen bedeuten konnte, und dessen tief in mein Bewußtsein eingespurte Verlockung mich noch immer erregte, sogar am Telefon. Sollte ich mich deshalb mies fühlen? Nach wie vor anfällig für das wenig sublime Reiz-Reaktionsschema? Für diese leicht morbiden Tristan-Projektionen, für das melodramatisch Isoldische, ›unbewußt – höchste Lust‹? Nein, bloß keine Schuldgefühle ihr gegenüber – auch nicht wegen der Ablehnung des von ihr gewünschten Zusammenlebens, oder meiner zerstörerischen Abwehrhaltung, die das Ende bedeutete. Noch wußte ich nicht viel darüber, warum mich bei aller Liebe früher oder später ein Fluchtimpuls ergriff.
     
    Ja, was sagtest du, willst du –.
    Ja, was wollte ich. Ich wollte dir etwas sagen, was Wichtiges …
    Ja … aber weißt du, im Moment … ich müßte … mal kurz, ja, du … ja, ruf doch gleich noch mal an, ja?
     
    Dem raschelnden Geräusch nach, war ihr der Hörer aus der Hand geglitten. Ich legte auf und setzte mich wieder ins Auto. Hatte es überhaupt noch Zweck, mit ihr zu sprechen? Sie war längst zurückgekehrt in ihre alten Verhältnisse, in die Problematik einer für mich undurchschaubaren, inneren Konstellation. Und was bedeutete da schon der Glaube an eine gehabte Nähe, die noch dazu bereits einige Jahre zurücklag – das frühere Verständnis, das Zusammengehörigkeitsgefühl beruhten womöglich auf einer Überschätzung. Fraglich auch, ob wir wirklich auf der Schaumkrone einer Welle geritten waren, als wir den Marihuana-Tee tranken oder die kleinen violetten Hochzeitspillen schluckten … Das ging auf meine Rechnung, klar … aber sie war letztlich selbst verantwortlich, die immerhin acht oder neun Jahre Ältere. Natürlich konnte seinerzeit niemand genau wissen, was dieses LSD mit einem machte … ein Naturprodukt war’s, aus Mutterkorn gewonnen, wo, wie, von wem auch immer, ein naturschönes Aphrodisiakum auch für die, die eigentlich keins brauchten. Mit ihm im Blut erschien alles einfach; leicht und sorglos ging’s auf die Tanzstraße zum bessren Ich … – eine neue Welt, ein jedes Lebewesen, jeder Gegenstand sah anders aus als zuvor. Die geliebten Gesichter rahmte ein psychedelischer Heiligenschein, ein hellweißer Strahlenkranz, die Konturen irisierten, als

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