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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Engel. Sie hätte nach dreijähriger Abstinenz mal wieder ihren Spaß haben wollen – na und? Sie gebrauchte tatsächlich die mir nicht geheuren Formulierungen »Engel« und »Spaß haben«, Begriffe, die eigentlich sofort zu kritisieren gewesen wären – auch ohne die Beteiligten zu kennen. In der jungen Geschichte zwischen Ella und mir trat dieser junge Mann jedenfalls als Belastung auf – Engel können ja die reinsten Spaßvögel sein, erst recht, wenn sie mit Alkohol fliegen. Seine sehnsüchtigen, in unser Zusammensein hineinpiepsenden SMS -Meldungen wurden mir umgehend im Display gezeigt und sollten interpretiert werden, die Antworten sollten auf Ellas Wunsch zwischen uns beiden einvernehmlich abgestimmt ausfallen. Mein Vorschlag: gleich damit beginnen, gar nicht mehr zu antworten. Eine Dreiecksbeziehung kam aufgrund schlechter Erfahrungen für mich nicht in Frage – ein mehr oder weniger gleichschenkeliges Dreieck würde neben anderem bedeuten, mit dieser Frau nie wirklich allein zu sein. Den Engel loszuwerden, den Ella eventuell noch eine Weile als Abstandshalter mir gegenüber benötigte, war die erste, größere Anstrengung auf dem Weg zu zweit.
     
    Die Welt ist kompliziert, sagte ich an einem unserer ersten Abende, doch wir sind jetzt mittendrin. Und Ella war eine Freundin eingefallen, die ein längeres Verhältnis mit einem über Sechzigjährigen hatte. Sie rief diese Freundin an und erzählte ihr von dem Kennenlernabend, dem Mann und seinem für sie ungewöhnlich hohen Alter.
     
    Das ist ziemlich extrem, hatte Ella mit fragendem Unterton gesagt – und mit 45 bin ich doch für Silver Sex zu jung, oder?
     
    Es war alles ganz anders, als ich vorher gedacht habe, sagte die Freundin, laß dich überraschen.
     

E in anrührender Anblick für eine Frau, das hochgelegte, wie verwundet umlappte Bein, der gerötete Fuß, beängstigend geschwollen und sichelförmig verbogen – so sah ein dreifacher Bänderriß wenige Stunden nach dem Unfall aus. Eine üble Knöchelverletzung, die einen Mann erstmal bewegungsunfähig machte.
     
    Du hast dich absichtlich verletzt, sagte Ella später, weil du dich ins Bett legen und von mir pflegen lassen wolltest.
     
    Die halbernste Feststellung entsprach einer ihrer mir mißfallenden Maximen, die sie bei Erörterungen unangenehmer Vorfälle notorisch einflocht: Mal sehn, wofür es gut ist.
     
    Für gar nix, erwiderte ich – so ein paar gerissene Bänder legen einen ja nur für’n Vierteljahr lahm …
     
    Doch ohne diesen Bänderriß wäre die Geschichte mit Ella gar nicht in Gang gekommen – das Verletzungspech vom Nachmittag wurde zum Auslöser für das am Abend definitiv beginnende Beziehungsglück. Bis dahin hatte sie nicht mit mir geschlafen, geschlagene zwei, fast drei Wochen lang, die wir uns bereits kannten, im Viertel herumspazierten, auch nachts, auch in meiner Wohnung, nur ins Bett ging’s nicht, da fehlte es offenbar am letzten, entscheidenden Impuls. Irgend etwas hielt sie ab, was mich wiederum über Tage in eine widersprüchliche Stimmung versetzte, schwer hadernd ob des Zwangs zu pubertärem Petting und zugleich euphorisiert davon, endlich wieder eine Frau in Reichweite zu haben. Kein Wunder, daß der biologische Überlauf mit mir durchging und ich beim Fußballspielen, von Ellas vielversprechender SMS »Mann geht kicken, Frau wartet« zusätzlich heiß gemacht, in viel zu hohem Tempo unkontrolliert über den löchrigen Rasen raste – als Mitglied eines Teams der Hochbetagten, in dem ansonsten jeder einzelne wußte, warum er sich jeden Samstag in dem ihm entsprechenden, so gut wie risikolosen Trott bewegte. Am Ende dieses selbstüberschätzenden Sprints hatte es im rechten Knöchel – gar nicht mal laut – geknackt, ein noch nie gehörtes Geräusch, ein fast technischer, mechanisch erzeugter Klang wie das leise Klicken von Handschellen, gefolgt vom Sturz zu Boden und dem langsamen Beginn einer mächtigen Schwellung, die erst am Abend ihr volles Ausmaß erreichte.
     
    Was zwei, drei Wochen lang mit Ella nicht gegangen war, ging an diesem Abend.
     
    Sie bemächtigte sich des verletzten, in seiner Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkten Männerkörpers, brachte es dahin, ihn waagerecht aufs Bett zu legen, und hockte im Nu auf dessen gesund wirkendem, funktionierendem Unterleib, bereit und entschlossen zum ersten Fick, in den sie sich unter steter Rücksicht auf den hochroten, empfindlichen Fuß in zunächst langsam kreisendem, erst später

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