Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
unter die Gürtellinie reichenden Männerfrisur, der nicht von seinen schwarzweißen Mikro-Federzeichnungen zusammenhängender, zu asiatischen Zeichen gerinnenden Menschenmengen leben konnte … In der nervtötenden Zeit des Wartens auf die Lieferungen legte er seine massige Gestalt ganz malerisch auf den Teppichboden und produzierte ein Blatt nach dem anderen.
Nur der Drogenhandel ermöglichte eine Hippie-Existenz, ein blödes Klischee, das leider oft zutraf, aber nichts über die schweißtreibenden einzelnen Schritte dieses Geschäfts aussagte … Okay, das nächtliche Rausfischen der zentnerschweren, von den großen Pötten heruntergeworfenen Gras- oder Hasch-Paketen im Hafen ging ja noch, aber die Übergabe von vier, fünf Ki-s auf Parkplätzen, die mit zittrigen Händen frühmorgens in der scheinbaren Sicherheit überlaufener U-Bahn-Stationen durchgezogenen Deals, der Tausch von gefährlich vollen Einkaufstüten gegen eine Handvoll Bares waren nichts für sensible Naturen, die dabei auszustehenden Ängste trieben den Puls in die Höhe. Natürlich wollten Derek und Micha wie die meisten Händler raus aus diesem Geschäft. Und am liebsten sofort hinein in die Hippieorte dieser Welt, die places to be … als unbewußte Vorhut des späteren Massentourismus.
Und erst die Frühstücke … berühmt, berüchtigt … der Bockhorn, der sozialistische Stecher Iwan, der erste Bote aus einer anderen Welt, der schöne Bayern-Peter, alle kamen, alle faszinierten mich. War auf Dauer nicht zu unterdrücken gewesen, die Lust, das Bedürfnis, neue Kreise zu erschließen, andere Leute und damit sich selbst anders kennenlernen zu wollen. Die Typen eben, die einem übern Weg liefen, an Größenwahn leidende Kleingangster, an Adornitis laborierende Schlaumeier, selbsternannte Studentenführer wie der Minsky, fanatische Nachtvögel, Schnorrerkönige und Künstlerkandidaten, allesamt anders gestrickt als du und ich, anders verstrickt als Régine und ich – mit ihr an der Hand, mit ihr im Kontrollhäuschen wäre das alles nicht möglich gewesen. Schon klar, daß diese Neugier, dieser Hunger nach autonomem Erleben eine Beziehung gefährden konnte … am Ende gar bis zum Gehtnichtmehr. In Zeiten der Halbtrennung kamen auch Frauen in mein Haus, klar, nicht die Klasse von Régine, aber aufgedreht nächtens, freakige Marktweiber und Trödlerinnen, die sich mit Ablomp in mir als Vorzeige-Hippie oder Underground-Royal irrten, werdende Schauspielerinnen, die von mehr träumten, Anfang der Siebziger schien ja traumhafterweise alles im Werden zu sein – bis sie sich in irgendeinem Achternbusch-Film wiederfanden, nackt mit dem Kopf nach unten aufgehängt, die Vulva mit Schnaps beschüttet, on the road to ruin. Régines Freundinnen dagegen waren Frauen eher schlichteren Gemüts, sie brauchte Zofen … vielleicht auch den einen oder anderen Kerl aus meiner neuen Runde unterm Dach, wo die Dinge schnell aus dem Ruder liefen, manche schliefen nur, bald wohnte der erste hier, der Bayern-Peter, dieser Einsneunzig-Beau in Jeans und Lederjacke, der von Luft und Liebe und seinem kreditwürdigen Sexappeal lebte – nicht zu verhindern sein Einzug in den Bau eines Edel-Hippies, er verstand sich auf sanfte Gewaltanwendung. Mittags begannen wir mit einem Whiskey-Cola-Mandrax-Cocktail, ein übertrieben in den Tag hineinpeitschender Mode-Drink, nicht lange durchzuhalten … Die Wirkung einer einzelnen Mandrax am Abend dagegen war schockierend für ahnungslos und noch nüchtern auftauchende Besucher: Diese Pille beruhigte so stark, daß relativ zügig eine Art Totenstarre eintrat, die letzte noch aktiv vorgenommene Bewegung wurde für ein Viertelstündchen eingefroren, in der Hocke etwa oder auf allen vieren, den Kopf erhoben, die Hand ausgestreckt gehalten wie zum Gruß, das Standbild einer unmotivierten Verzweiflung, ohne Bewußtsein, ohne Worte, pompeijisch. Auch möglich, daß ein durch doppelte Mandrax-Gabe Entschleunigter das Gespräch nach starrem Verharren an derselben Stelle wieder aufnahm und einen Satz vollendete, den er zwanzig Minuten zuvor begonnen und abgebrochen hatte. Seine Zuhörer sahen sich dann gezwungen, mehr oder weniger gespannt auf diese Fortsetzung zu warten und sich die Entwicklung anzukucken – die komplette Story kriegten sie schließlich verzögert geliefert, für sie verwirrend, für den Erzähler eher wie ein gewöhnlicher Filmriß.
Aber mit diesem Blödsinn sollte langsam Schluß sein, wirklich. War lange genug
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