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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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natürlich.
     
    Fakt war, daß ich kurz vor den mir höchst vertrauten Elbbrücken stand und in meinem parkenden Auto die letzten Minuten als Bewohner dieser Stadt verbrachte. War ich hier einfach bloß gescheitert? Oder handelte es sich um die Fortsetzung einer Wanderschaft, die ihre innere Logik hatte? Zog ich wie ein junger Amerikaner nur von einem Häusermeer zum nächsten, singend dem Glück hinterher – Kansas City, here I come? Nein, Glück war keine Kategorie, Erfahrung war’s! Dieses Hamburg hatte ich durchforscht wie keine zweite Stadt – von billigen Reeperbahnkellern bis zu den Beletagen an der Binnenalster, von den Villen der Dealer bis zu den WG s des Künstlernachwuchses, von kleinkommunistischen Zellen bis zu schlagzeugspielenden, ungezogenen Blagen der Blankeneser Kaffee-Dynastien, an den oberen und unteren Rändern also, wenn auch kaum je in der Mitte. Als die sexistischen Söhne längst versunkener Adelshäuser in meinem Studio erschienen, um sich mit zarter Lichtkunst für ihre Kuschelecken einzudecken, als kurz darauf der große Bigbandleader Hänschen Letzter dasselbe für seinen neuen Bungalow wünschte, tröstete mich ihr dankbares Geld weniger als der verräterische Ausruf der Bigbandleader-Kinder beim Betrachten der projezierten, blubbernden Ölblasen an der Wand: Da habt ihr ja endlich mal was Anständiges gekauft! Nicht mehr aufschiebbar und passend obendrein, der definitive Abtritt von der Lightshow-Bühne … auf einer Festveranstaltung in München … ausgerechnet im Deutschen Museum, wo der deutsche Druckereifachverband mit tausend Gästen den hundertsten oder zweihundertsten Gründungstag feierte, sein Präsident sprach, Oberbürgermeister Vogel sprach, Außenminister Scheel sprach, die Trinidad-Steel-Company trommelte für die Spitzen der Gesellschaft auf Ölfässern und ich projezierte überteuerte bunte Lichteffekte in den holzgetäfelten Nachmittag. Absolut neu in der PR -Welt, mit einem angepopten Rahmenprogramm derlei bierernste Veranstaltungen zu entsteifen, am Beginn der Siebziger noch in den Anfängen – aber zum genau richtigen Zeitpunkt, um aus dieser verlogenen Arbeitswelt zu verschwinden.
     
    Ein halbes Jahrzehnt Monkey-Business lag seit achtundsechzig hinter mir … angesichts der Wahl, eine stocknormale Firma zu führen oder im Nirwana der Blumenkinder unterzugehen, war’s besser, mit alldem Schluß zu machen … die Dinge hatten sich verkehrt … selbst die Geschichte mit Régine. Sie hatte ohnehin nie verstanden, warum ich den kunstförderlichen Dreck liebte, die Kellerclubs der Sound- und Lichtbastler, den reeperbahnbrechenden ›Grünspan‹, die Avantgarde-Disko. Auch der Unterschied zwischen bürgerlichem Geld und Hippie-Geld war ihr in unseren gemeinsamen Jahren nicht aufgegangen. Göld, ein Göld muß eins da sein, hieß es nicht so in einem frühen Faßbinder-Film? – ja, ein Göld mußte schon da sein, auch im Hippie-Haushalt. Doch zuletzt war es nur noch um Geld gegangen … der rebellische Elan dahin, die Illusionen verloren … und vom kalten hanseatischen Ehrgeiz gepackt. Hatten in meinen Augen damals etwa nicht die Dollarzeichen geblitzt – enttäuscht vom Scheitern des Kollektivgedankens, der antikapitalistischen Idee? Erlag ich am Ende denn nicht der gemeinen Versuchung des Geldes … des unbescheidenen Abgreifens, Einfahrens und Bunkerns, der Hamburger Krankheit also? Trotzdem hatten die kleinlichen Nörgler übertrieben, wenn sie mich beschimpften, du Scheiß-Pop-Millionär, du machst mit deinen verblödenden Lichtspielen einen Haufen Kohle, und wir – welche Ungerechtigkeit! – machen richtige Kunst für ’n warmen Händedruck.
     
    An Leuten, die einen unbedingt korrigieren wollen, fehlte es in so einer Situation natürlich nicht … Hubert und Dieter, zwei neue, mich schwer beeindruckende Jungs, hauten es mir gleich mehrmals um die Ohren: Am Ende des Kapitalismus erbeutet er Kapital mit Psychedelischem, kritisierte mich Hubert, der schwule, halblinksdrehende Schriftsteller, lang und breit und zu Recht … Der Malerweltmeister Dieter machte es kürzer, du geldgeiles Arschloch … Natürlich wollte auch er groß rauskommen … hatte ein ganz und gar eigenes Heintje-Museum ausgeheckt, gegründet im Sommer ’ 71 , eine schön gefakte Ausstellung mit Gegenständen dieses Kinderschlagerstars: sein Schulranzen, Unterhosen, Emaille-Waschschüsseln, Schallplatten mit dem Hit »Mama« in 27 Sprachen und als Höhepunkt die in Vitrinen gelagerten,

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