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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Und das war sogar ohne die großen Anstrengungen passiert, die ich bei Bedarf hätte leisten können – wie die glaubhaft formulierten Begründungen meiner Verzweiflung, die graduell abgestimmten Ohnmachtsbekundungen und die in früheren Zeiten des Geschlechterkampfs eingesetzten Provokationen, die die Rolle der Frau konterkarieren und die Wahrheitsfindung beschleunigen sollten. Selbst das, was mir an Humor zur Verfügung stand, brauchte es in dieser Minne weniger als gewohnt. Auch konnte er zwischen uns nur schwer aufkommen, weil Ella an allen möglichen Stellen und somit zu oft lachte, ein Zeichen von Humorarmut. Ihr fehlte das Trotzdem.
     
    Auf der symbolischen Ebene spiegelten sich sowohl Humor als auch Verzweiflung in meinem Zuhause, einem passagenweise fast möbelfrei gestalteten, in seiner vergilbten Aura etwas düster schimmernden Heim von geradezu programmatischer Nachlässigkeit. Dennoch war’s eine vollkommen brauchbare Wohnung mit einiger Verführungskraft: Schau mal, liebe Besucherin, konnte sie signalisieren, hier ist was zu machen, hier wird traditioneller Konsumverzicht geleistet, hier fließt noch rebellisches Blut, Parteinahme ist gefragt. Meistens ließ ich nach Ende einer Beziehung etwas stark Angegriffenes oder nahezu Kaputtes noch behutsam weiter in den Zerfall hineinreifen, ein Schaden mußte wachsen, mit seinem Besitzer leben, um andere zu überzeugen. Vor Ellas Erscheinen waren dies unter anderem die aus den fürstlichen Underground-Zeiten herübergeretteten, sich nach drei Jahrzehnten Dienst langsam selbstauflösenden schwarzen Schlafzimmervorhänge, die mittlerweile aussahen wie die Segel eines Nilfischers. Die Einrichtung – auch die im Flur verbauten, mitunter verschämt weggewünschten alten Apfelkisten – war insgesamt schon durchdacht und bezeugte die halb aufbegehrende und halb resignative Haltung des Bewohners. Kuckten Außenstehende genauer in die Wohnung hinein, wurde ihre Reaktion zum aufschlußreichen Empathie-Test. Eine neu eintretende Frau konnte den Stil alles in allem schweigend als inhärente Marotte hinnehmen, auch lauthals als politisch verbrauchte Symbolhandlung verurteilen oder aber als Zeichen einer gewissen Hilflosigkeit mit karitativem Wohlwollen betrachten. Dabei wären die Schäden innerhalb von Stunden durch Reparaturen oder einfaches Ersetzen zu beheben gewesen – von eigener Hand.
     
    Schwerer Brocken, nein, nein, einfach wie ein Kieselstein, hatte ich gesagt – allerdings einer, der richtig behandelt werden muß.
    Das sagen Männer immer.
    Richtig heißt, ohne den großen Forderungskatalog, ohne dieses: Ruf an, komm her, versteh mich, kümmre dich, zeig Gefühle, übernimm Verantwortung, halt mir die Wagentür auf und bezahl im Restaurant.
    Ja, genau, sagte sie, das alles fehlt.
    Meiner Meinung nach kann das niemand einfordern.
    Ohne mein Betreiben würde hier doch gar nichts passieren.
    Du übertreibst mal wieder.
    Immer bin ich es, die anruft.
    Wer wen wann anruft, ist eigentlich egal.
    Ich mach doch die Beziehung ganz allein.
    Das geht gar nicht, sagte ich, das meiste, was wir machen, geht alleine gar nicht.
     
    Die Nacht wieder schön.
     
    Das Begehren ist doch das Größte, dachte ich einmal mehr – nur jemandes Begierde verschafft einem das Gefühl, wenigstens für Momente von anderen so gesehen zu werden, wie wir uns selbst am liebsten sehen würden.
     
    Anderntags erzählte Ella, daß sie wie fast jeden Morgen Johnny getroffen hätte, der wieder ganz begeistert gewesen wäre, vor allem von ihrer neuerdings so tollen Ausstrahlung …
    Johnny?
    Ja, eine Lesbe aus meiner Nachbarschaft, pechschwarzes Haar, noch gegelt, ’ne echt männliche Type, ein Verehrer, seit meinem Zuzug in die Straße …
    Verstehe.
     
    Ich verstand auch die nächsten Geschichten von Johnny falsch – im Sinne einer Ella unterstellten Gender-Sichtweise: Bitte behandle mich nicht als nur biologische Frau, sondern schau genau hin, wo, wie und warum ich determiniert bin, erkenne an, daß die dekonstruierte Frau durchaus als gegelter Verehrer antanzen kann und daß sie alle – wirklich alle – Möglichkeiten hat.
     
    Auf Augenhöhe, sagte Ella – anders geht es mit uns nicht.
    Mal kucken, sagte ich.
     
    Zu meiner Überraschung beschrieb mir Ella Tage später mit allen Details, daß sie selbst eine Frau, wie sie sagte, aufgerissen hätte, daß sie in einer Bar einer sich langweilenden Fremden einen Drink ausgegeben und diese dann mirnichtsdirnichts vom Tisch ins Bett

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