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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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mit meiner auf der Couch liegenden, von einer plötzlich wie Schüttelfrost aufziehenden Feindseligkeit erfüllten Person, die aus unendlicher Enttäuschung über den Verlust der Liebe den Mörderblick auf Régine richtete: Unter ihm sackte sie mit dem Rücken zur Wand in Zeitlupe in sich zusammen – in ihrem das Weibliche sonst aufs schönste freilegenden, roten Unterrock verwandelte sie sich in ein kokottenhaftes, absinth-zerstörtes Bohème-Wesen, das vor meinen Augen innerhalb einer Stunde zur blassen Elendsfigur abmagerte. Ihr leises Wimmern verbeulte die Wände.
     
    Sollte ich sie wirklich noch mal anrufen? Ihr etwas erzählen von einem neuen Anfang, einem neuen Leben, das sie wahrscheinlich wenig kümmern dürfte? Ihren Geburtstag kürzlich, den 38 ., hatte ich einfach verstreichen lassen. An solchen Festtagen wär’s schön gewesen, mit ihr noch mal auf Trip zu gehen – Régine hätte es sich auch gewünscht, wie sie bei einem unserer soundsovielten Neuanfänge andeutete, sie fühlte sich nur noch nicht wieder stark genug für die Droge. Wahrscheinlich zweifelte sie bereits daran, jemals wieder so klar und so gesteigert empfinden zu können wie unter deren Einfluß … Wir hatten ja einigermaßen geklärt, warum es seinerzeit zum Horror gekommen war – weil die Beziehung nicht mehr stimmte, weil der Wille fehlte, weil das Paar sich nur noch gewunden hätte, dies anzuerkennen, so daß den beiden die Wahrheit schließlich per Acid aufgezwungen werden mußte … Die schreckliche Wahrheit, daß das eben noch sichere Übermaß an gegenseitiger Einfühlung überschätzt, daß die intensive Vereinigung der Körper im LSD -Rausch bloß augenblicksbezogen war … die überschwenglichen, aus starker Überzeugung gefallenen Liebesschwüre nicht hielten, was sie versprochen hatten. Aber ohne sie … die Fürstin am hanseatischen Hof … sie regierte immer noch …
     
    Régine hatte mich, den Provinzknaben, als erstes gelehrt, daß es wichtiger ist, die Frau zu befriedigen als sich selbst … ja, ladies first wäre nirgendwo so geboten wie im Bett – was in der Praxis mit anderen Frauen danach nicht so gelang wie mit ihr. Ganz einfach, nur Liebe macht guten Sex, doch die war schwer aufzubauen, und genausoschwer zu zerstören. Und wie überhaupt hätte man ein Paar, bei dem der Anfangsverdacht auf Liebe bestand, durch diese irren Zeiten, durch diese aufgeputschte Rockwelt bringen können … gar nicht. I’m not ready for my family life, sang in diesen Tagen ein US -Softie im Autoradio, die vertröstende Antwort auf eine mittlerweile sogar in den Provinzen aufkommende Frage – in meiner Nähe gab’s so gut wie niemanden, der familienreif gewesen wäre. Die kitschige Ballade verstärkte meine Ehephobie – jedenfalls wollte ich die nächsten fünfzig Jahre nicht mit Schach und Tee im Eigenheim verbringen … Oder?
     
    Oder blieb ich hier eingeklemmt im Tor zur Welt sitzen, weil in mir die verquere Hoffnung rumorte, Régine könnte mich umstimmen und von meinem ohnehin wackligen Umzugsvorhaben abbringen? Aber warum sollte sie? Ihr hatte es genügt, nach der Trennung die Wohnung zu behalten … während ich für mich ein Dachgeschoß mietete, für manche ein Penthouse, teuer eingerichtet, schwarze Vorhänge aus Theatersatin, die perfekte Abdunkelung für Tagesschlaf, dazu handbemalte Tapeten, die den Wohnzimmererker dauerhaft in naturalistisch hochzüngelnden Flammen stehen ließ, Elektronik, Projektoren … das hatte nicht jeder, so ein Heim im Schnittpunkt von genuiner Subkultur und Pop-Hedonik, fast hätt ich mir für meine neue Wohnung noch einen Affen gekauft …
     
    War auch so ständig voller Leute, Düsseldorfer, Frankfurter Freunde wie Derek und Micha, die ihre Kilos in dem Chaos bei mir zu Haus zusammentelefonierten – diese naiven Hippie-Gangster dachten so wenig wie ich daran, daß der Anschluß abgehört werden könnte, meiner oder der am anderen Ende. Micha, keine zwanzig, die braune Haarmatte wie eine doppelte Portion Zuckerwatte, machte täglich mit seinem Bentley Spazierfahrten übern Jungfernstieg, trotz meiner Warnungen, die Bullen kucken dich aus, Mensch, so ’n Typ wie du in einem Bentley, nee. Zwei, drei Jahre konnte er sich halten, weil er nicht überall von seinem Business quasselte wie andere, die sich in Bars brüsteten und nach ein paar Monaten schon gebustert wurden, ein eiskalter Engel, dieser Micha … Eiskalt auch Derek, ein Ledermann mit der längsten von mir je gesehenen, bis

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