Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
geschoben hätte, weshalb sie sich nun Vorwürfe machte, da jene Frau erstmals mit einer Frau Sex gehabt hätte, eine Entjungferung also, die nachzubetreuen wäre. Auch wisse sie jetzt gar nicht mehr so genau, in welche Richtung es nun weitergehen sollte.
Das ist ja die Höhe, sagte ich, die Augenhöhe.
Ob wahr oder erfunden – solch aufgepeppte Geschichten gefielen mir wenig. Da mühte sich ein Mann, den Stand der Geschlechterdiskussion mit Hilfe einer neuen Freundin neu zu justieren, zerbrach sich den Kopf über Johnny und die Fremde aus der Bar, überprüfte seine Haltungen, Stichwort »Zärtlichkeit«, um dann doch bei einfachsten Erkenntnissen und bekannten Phänomenen zu enden. Es ging nicht um Gender und sonstige, Ella gar nicht bekannte Theorien, nicht um ernsthafte Erkundungen der Differenz. Es war der Versuch, sich omnipotent aufzuplustern, andere mit der alten Bi-Masche zu verunsichern und sich rundum interessant zu machen – die pure Angeberei, ein gestriger sexueller Chic, den der damit konfrontierte Mann zunächst ohne große Kommentierung goutieren konnte: Das wächst sich raus.
Doch schon auf der Rückfahrt nach einer letzten Fuß-Beschau beim Arzt war Ella während der Rotphase einer Ampel unversehens ins Schwärmen geraten – auf der Gegenseite wartete ein älteres Auto, ein weiß-silbriges Sportcoupé, ein Nachkriegsbaujahr der frühen Fünfziger des 20 .Jahrhunderts. Bei so etwas kuckte ich schon ewig nicht mehr hin. Sieh mal, da drüben … dieses Coupé, ein Traum, sieh doch … forderte sie mit hektischer Gestik … sieh doch bitte. Sie ahnte nicht, wie sehr sie mich in diesem Augenblick schockierte. Nicht zu fassen, eine Vorliebe für Oldtimer, daher wehte der Wind, von der Landstraße, über der aus offenem Verdeck ein weißer Schal flattert. Völlig klar, daß das Zusammensein mit einer neuen Freundin bedeuten konnte, einen neuen Blick auf die Realität nahegelegt zu bekommen … und was für Dinge hat unsereins durch die Augen von mittlerweile längst verschwundenen Frauen betrachten dürfen! Auch wenn sie ihn überhaupt nicht interessierten … Diesmal also alte Autos, da offenbar ihnen Ellas besondere Aufmerksamkeit galt. Sieh doch wenigstens mal hin, rief sie in den Fond ihres betagten Kleinwagens, sind sie nicht wunderbar, diese schönen alten Modelle … ach, ich liebe Oldtimer.
Schrottige Karren aus den fünfziger Jahren, sagte ich mit übertriebener Verachtung, erkaltete Materie aus dem Biedermeier der Autoindustrie, weg damit, weg mit diesen Oldtimern, die hab ich schon neu nicht gemocht … genausowenig wie die Leute, die in diesen Autos saßen, damals wie auch eben gerade.
Was regst du dich so auf? Sie sind ästhetisch gelungen, sagte Ella, und wenn ich Geld hätte …
Daß ich mich in diesem Leben damit noch befassen mußte – mit Oldtimern. Durch dieses an der Ampel wartende Fahrzeug wurde erstmals eine klar erkennbare, weltanschauliche und eigentlich unüberwindbare Differenz zwischen mir und Ella aufgedeckt. Und wenn ich sie in der Nachmittagssonne betrachtete, ihre hochgesteckten blonden Haare, die Ohrringe, den schwarzen, elegant leichten Mantel, dachte ich, warum sollte ein weißes Sportcoupé aus alten Zeiten hier nicht passen – kein wirklich gemeiner Gedanke, bloß ein nicht zu Ende gedachter. Ihre Wohnungseinrichtung paßte ja auch, die vorrevolutionären, roten Plüschsofas, die mir schon aus der Zeit mit Régine bekannten Tiffany-Lampen und andere Antiquitäten. Bei Grün fuhr sie rechts ran und schwärmte so enthusiastisch weiter von dem längst verschwundenen Coupé, daß ich mich fragte, ob meine Begeisterung wofür auch immer jemals wieder annähernd so überzeugend ausfallen würde … .
Ich verstehe ja, sagte sie, daß du das Wort Oldtimer nicht so gerne magst …
Die Nacht wieder schön.
Doch Ellas Bekenntnis unter der Ampel hatte mich etwas durcheinandergebracht und Zweifel am Sinn unserer Beziehung aufkommen lassen. Ich war nun mal von Haus aus skeptisch und niemand, der zuversichtlich darangehen würde, eine 45 jährige Frau von ihrer Liebe zu Oldtimern und ähnlichen, dahinter lauernden Geschmacksverirrungen abzubringen. Zumal Ella sich für Argumente wenig zugänglich zeigte. Unsere gemeinsamen Autofahrten endeten meist in lautstarken Disputen, da bei mir nach 35 Jahren ohne Auto die Erinnerung an diese alte Männerwaffe wieder hochkam und Ella meiner Einschätzung nach stets die falschen, längeren, gar in
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