Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
reizvoll gewesen, hatte so oder so Sinn gehabt … einen befreienden, verwirrenden, hilfreichen und wieder verstörenden … Lange genug war am Glauben festgehalten worden, der Gebrauch der Droge könnte die unterschiedliche Empfindsamkeit von Menschen angleichen und sie so auf einer Ebene zusammenbringen, nimm nur ’n Joint und jeder ist dein Freund, von wegen – eine Täuschung wie jene schwammige Utopie, irgendwann würd’s allen Nutzern einmal bessergehen …
Schluß sein sollte auch mit meiner ganz persönlichen Hamburger Schizophrenie – nur gab’s im Inneren der Hammaburg leider keine Umkleidekabinen für einen Identitätswechsel, in dieser ordnungsliebenden Stadt wurde einer ein für alle Mal festgelegt, ein herumvögelnder Bismarck blieb ein Bismarck, ein blödgekiffter Kaffee-Erbe ein Kaffee-Erbe, die Elb-Patrizier wurden von ihrer Klasse nicht verstoßen, selbst wenn sie den unverständlichsten Mist bauten. Wer sich aber dem Underground verschrieben hatte, wer Flickerfilme oder finstere Songs produzierte, war für’s Bürgerliche auf ewig verloren, und wer überdies mit seinem Kram viel Geld gemacht hatte – eine Todsünde wider den Zeitgeist –, der war’s für die kunstorientierten subkulturellen Szenen. So sah’s aus, poor little Pop-Millionaire, ein Verräter warst du, ein Heuchler zwischen Baum und Borke – lächerliche Gedanken mit Blick auf die Elbbrücken, wo ein Jahrzehnt unter Hamburgern im Zeitraffer durch mein Hirn sauste … Klar nur, daß so einem die Anerkennung der Leute versagt blieb, von denen er sie sich wünschte – hier konnt ich mich nicht ändern, hier gab es keine zweite Chance.
Ich verlasse die Stadt, sagte ich.
Ja, sagte Régine.
Ich verschwinde aus Hamburg.
Ja … ja gut … ja –
In einer der letzten melancholischen Nächte hatte sie den großen, alles leichter machenden Satz gesagt: Wir konnten uns nicht auf ewig im glücklichen Zustand halten, aber unser Gefühl wird unsterblich, weil wir die Beziehung vor dem eigenen Tod haben sterben lassen! Eine etwas romantische Vorstellung – wie auch der von ihr einmal geäußerte Wunsch, daß nach dem Scheitern der Liebe einer von uns beiden aus der Stadt verschwinden müßte … ein frankophiler Kitsch, eine schlagerreife Forderung, die auf dem Dorf entstanden sein mußte …
– ja, aus und vorbei … alles gelaufen hier.
Verstehe, sagte sie, willst das Schicksal noch mal rausfordern …
Hab alles aufgelöst, die Wohnung, das Lager, alles.
Ja.
Es ist mehr als ein Umzug.
Und wohin gehst du?
In einen schwarzen Sack.
Wohin bitte?
Nach Berlin, sagte ich.
Ach Berlin … Berlin, sagte Régine und fragte: Noch was?
M orgens drei Zeitungen und Brötchen vorbeigebracht und abends ein Küßchen – der Anfang mit Ella hätte nicht besser verlaufen können. Nicht für einen Bettlägrigen mit halbgebrochenem Fuß, der am Beginn einer Beziehung nicht an Krücken daherkommen wollte und das wochenlange Liegen vorzog. Das Schöne des Anfangs wurde dadurch nicht geschmälert – dieses Gefühl, akzeptiert und bevorzugt zu werden, dazu täglich gute Aussichten auf Lustgewinne zu haben und die Zuversicht, noch sehr, sehr weit entfernt von einem Ende zu sein. Überdies blieben uns die ersten, oft holprigen Aktivitäten eines Paares erspart, das zwanghaft nach dem passenden Restaurant oder originellen Rendezvous-Ideen suchen muß. Von äußerem Geschehen ungestört, ließ sich von diesem Kredit des Glücks einige Wochen zehren. So ein Anfang sagte einem, alles ist gut – so lange, bis er vorbei war. Und das begann, was nach ihm kam.
Du mußt zugeben, hatte Ella mehrmals gesagt, daß es sich bei dir um einen schweren Brocken handelt.
Heb dir bloß keinen Bruch.
Ein Klotz, ein Mann al dente.
Dann schließ ’ne Zusatzversicherung ab.
Zwiespältige Feststellungen wie diese waren erfreulich insofern, als offenbar eine Aufgabe angenommen wurde, weniger erfreulich, sofern die von ihr eingeräumte Schwierigkeit durchaus auf einen Mangel an brauchbaren Erfahrungen und Phantasielosigkeit schließen ließ. Offenbar wollte Ella den Brocken zu irgend etwas bewegen, den Mann in eine auf sie zugeschnittene, nützlichere Position bugsieren, ohne zu wissen, wie, und ohne sich die Zähne auszubeißen. Obwohl daraus eine eher pädagogische Mütterlichkeit sprach, stellten mich ihren Bemerkungen dennoch zufrieden: Eine Frau, die etwas bewegen wollte, mußte selbst bewegt sein. Kein Zweifel, sie hing am Haken.
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