Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
vertraute, auf dem sich noch immer alles aufbaute … ein Moment, der von jeher das Zusammensein klar und einfach bestätigte. Doch mit Ella war auch das nicht einfach, weil mit ihr nichts einfach war … meistens blieb mir unklar, ob ein Fick sie wirklich befriedigt hatte. Wenn ich am Ende herausgespürt zu haben glaubte, das sei nicht gelungen, reagierte sie auf diese von ihr natürlich erfühlten Zweifel mit dem zufrieden lächelnden Gesicht einer Strahlefrau – ein eilfertiges, überpünktlich kommendes Lächeln, versteht sich. War die Befriedigung gelungen, entspannte sie das nur für kurze Zeit, unter Umständen nur für Minuten. Das Erreichen des Orgasmus löschte vorangegangene Mißstimmungen bei ihr nicht nachhaltig aus und schien auf ihre übrigen Gefühle nur geringen Einfluß zu haben – das von ihr erhoffte Beziehungsidyll mit Sonntagsspaziergängen, gemeinsamem Zähneputzen und Konto war so höchstwahrscheinlich nicht zu haben.
Ella kehrte aus den Umarmungen jedenfalls schneller in den problematischen Istzustand zurück als ich. Nach meiner Einschätzung hatte das nichts mit jener postkoitalen Traurigkeit zu tun, die vor Jahren groß diskutiert worden war und dann wieder aus der Welt verschwand, zumindest als Begriff. Nein – Ella kehrte zurück zu ihrem Grundkonflikt, dem Widerstreit zwischen zwei sich gegenseitig störenden Trieben, einmal der Angst, ihre Vorstellungen insgesamt würden sich nicht erfüllen, und zum anderen der Aggression gegen alle daran eventuell Schuldigen. Deshalb litt sie unter chronisch erhöhter Triebspannung, die, wie mir mein Caféhaus-Therapeut einmal erklärte, unlustbetont erlebt würde, also unter starken Stimmungsschwankungen. Seiner Tresendiagnose zufolge paßten unsere Traumata ohnehin nicht zusammen. Ihre Bestätigungssucht und deine mörderische Skepsis, ein Mismatch, hatte er gesagt, dabei ist dein ständiges Zweifeln nichts anderes als der ins Heute verschobene, uralte Kinderzweifel, die Mutter könnte dich im nächsten Augenblick schon fallenlassen – dein Verhalten wie das deiner Freundin führen immer wieder in den Zweifel … und gegen den gäbe es nun mal keine logische Waffe.
Auch gestern nacht hatte ich – trotz Ellas Kritik an meinem zwanghaften Redebedürfnis hinterher – abwartend vorsichtig zu reden angefangen und beiläufig Katjas Partyeinladung für den nächsten Sonnabend erwähnt … Woraufhin Ella fragte, was die Frau denn so beruflich täte, wo sie wohnte … und ich mit leicht idiotischem Stolz auf meine Ex ironisch gedehnt antwortete, ja … die Katja …
Danach mußte ich einmal mehr unglücklich aus der Spur geraten sein, um in einem meiner geschwätzigen Anfälle eine unangemessen lange Geschichte zu erzählen, ja, die Katja … die sei eine erfolgreiche Geschäftsfrau in Charlottenburg, das Germanistikstudium habe sich gelohnt, 1987 wäre sie sogar Managerin des Jahres gewesen und beteiligt an Firmen ihres Gatten, eines für Westberliner Kreise tatkräftigen Mannes mit Gewinnergesicht, mit dem ich sie – natürlich unbeabsichtigt – seinerzeit zusammengebracht hätte … an einem Trinkabend unter Sportsfreunden im ›Dschungel‹ … wo mir Tage zuvor ein schwerer Fehler unterlaufen sei. Welcher? An der Bar stehend, hatte ich Katja im Plauderton ein unfreiwilliges Geständnis gemacht, ihr betrunken wie von Sinnen intime Details über einige lächelnd vorbeigehende Frauen erzählt und dabei höchst belustigt beschrieben, daß eine von ihnen eine Art stählerne Slipeinlage trüge, ein untenrum schwer zu entfernendes, silbriges Drahtgeflecht, als Schutzgitter vor der eigenen Haltlosigkeit womöglich, eine selten vorkommende Marotte jedenfalls … Anderntags erzählte mir Katja, was in der Nacht alles sonst noch aus mir rausgesprudelt war, das unsere Harmonie und unser Leben als Sartre/de Beauvoir mehr als gefährdet hatte – nicht zu fassen … die schönsten top secret Stories, die geheimste, gemeinste Wahrheit, ungewollt, ausführlichst und genau erzählt … als Folge eines Filmrisses, nur eine meiner früheren mehrstündigen Absencen … entschieden zuviel Wein getrunken an dem Abend, ein kompletter Blackout war’s, keine Ahnung … hey … warte, warte, ein Versehen.
Doch da stand Ella bereits in der Tür. Keine Alkis mehr, sagte sie noch, nein, nein, nein, nie mehr. Und ging.
Eine Stunde später begann sie als Erklärung für ihre Nervosität – noch angezogen auf dem Bett liegend – von ihrer gerade
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