Gwen (German Edition)
lag, holte sie den Wohnungsschlüssel, gönnte sich noch einen letzten liebevollen Blick auf den Schlafenden und wandte sich zur Tür. Vorsichtig schlich sie vorwärts und kam am Schreibtisch vorbei, auf dem ein Stapel Papiere provozierend herumlag. Wo sie schon einmal hier war, konnte es nichts schaden, die Zettel kurz durchzublättern.
Es waren Lieferv erträge über Baustoffe und Elektronik, Frachtscheine von Stahlgerüsten und - da musste Gwen lächeln - von irischem Whiskey, ein Plan der Sanitäranlagen, eine Aufstellung von Lohnzahlungen. Nichts, womit Gwen etwas anfangen konnte. Doch dazwischen lag ein Blatt Papier, das nichts enthielt außer dem Briefkopf: „Dirk Statler, Health Company International, 224 Lincoln St., Catnecktown, Florida“.
Interessant!
Dann gehörte Statler also auch diese Firma. Und da es bei allem nur um Produkt 4 zu gehen schien, war es nur logisch, dass in dieser seltsamen Health Company International wohl dessen weitere Verarbeitung ablief. Wobei allein schon der Name eine perverse Art von Humor verriet.
Ungestört entkam Gwen aus der Wohnung und huschte dur ch eine Hintertür nach draußen. Ihr Fußmarsch dauerte eine dreiviertel Stunde und führte groteskerweise an der Health Company International vorbei. Die Firma sah aus wie tausend andere auch, geradezu heimtückisch normal. Gwen war schon öfter vorbei gefahren oder gelaufen, ohne hinter der langweiligen Business-Fassade eine Brutstätte des Bösen zu erwarten. Es schien unerlässlich, dass Gwen früher oder später dieser Firma auf den Zahn fühlte.
Daheim angelangt fand sie eine aufgebrachte Pat vor. „Wo kommst du denn her? Norman und ich haben uns wahnsinnige Sorgen um dich gemacht! Wir haben schon die Polizei und das Krankenhaus angerufen. Komm, setz dich und trinke erst mal einen Kaffee!“
Gwen streichelte die schwanzwedelnde Venus, sank auf den nächstbesten Stuhl am Esstisch und nahm dankbar eine Tasse entgegen. Pat goss Kaffee hinein und setzte sich Gwen gegenüber. „So, nun erzähl mal, was los war!“
„Statler hat mich entführt.“
„Oh, Gott!“ Pats Augen weiteten sich in gediegenem Entsetzen. „Bist du okay? Hat er dir was angetan?“
Gwen schüttelte de n Kopf. „Nein, er wollte mir nur Angst machen. Er hat gedroht, mich einzusperren, wenn ich unsere Aktionen gegen seine Firma nicht einstelle. Wie ich befürchtet habe, lässt er mich beschatten und vermutlich auch unser Telefon abhören.“
„Dieses Schwein! “ Unwillkürlich schaute sich Pat um, als würde sie erwarten, dass einer von Statlers Schnüfflern irgendwo hier im Wohnzimmer kauerte, dann flüsterte sie: „Hast du dafür Beweise? Sonst glauben uns weder die Polizei noch die Medien.“
„ Leider nicht.“
„Und er hat dich einfach so wieder gehen lassen?“
„ Einfach so war es nicht gerade. Wie ist es übrigens gestern Abend gelaufen?“
Pat nippte an ihrer Kaffeetasse. „Da du nicht aufgetaucht bist, habe ich dich bei Clarissa en tschuldigt und selber den Vortrag gehalten. Mittlerweile habe ich ja genug über die Triustat -Abwässer mitgekriegt, dass ich mir dazu schon was abfaseln konnte. Die Diskussion hinterher war recht rege.“
„Du bist großartig, Pat!“ Es war eine unendliche Erleichterung für Gwen zu erkennen, dass nicht jeder öffentliche Auftritt immer nur auf ihren Schultern lasten musste.
Ein erfreutes Lächeln stahl sich auf Pats bis dahin verkniffene Lippen. „Nun ja, ich habe nur getan, was getan werden musste. Obwohl mir kurz vor dem Vortrag wahnsinnig schlecht war, du kennst mich ja. Oh, war’s mir schlecht! Aber dann ging es. Übrigens gibt der Bürgermeister am Dienstag einen Empfang im Royal für die High Society von Catnecktown. Alle führenden Köpfe aus Politik und Wirtschaft sind geladen, sogar Clarissa. Wohl weil ihre Eltern eine große Schuhfabrik haben. Und sie hat VIP-Karten für zwei Begleiter ihrer Wahl. Und stell dir vor, sie nimmt uns mit! Die Presse wird auch da sein. Das ist eine Riesenchance für uns. Und …“, sie stockte.
„Und ?“, fragte Gwen.
„Und Statler ist bestimmt auch dort.“ Pat erhob sich und setzte einen neuen Kaffee auf.
„Mit dem komme ich schon klar.“
„Wenn du meinst. Hast du Tracy unser Geschenk schon gegeben?“
„Nein . Ich gebe ihr die CD heute auf der Arbeit. Die Musik ist übrigens grandios.“
Ja, dachte Gwen, die Musik war in der Tat grandios.
Sie hatte Pat nichts gesagt.
Diese Produkt-4- Sache war zu gefährlich, als dass sie
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