Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
Blick war wach, ihre Augen klar. Die Schreie, die vom Hof hinauf in Merlins Kammer drangen, wurden immer lauter und aufgeregter.
„Mordred greift an“, sagte die Königin. „Das Ende ist nah. Wenn du überleben willst, musst du dich beeilen und von hier verschwinden. Hörst du nicht, sie rufen schon nach Artur.“
„Ja, Herrin“, stammelte er und wollte davonrennen, doch Guinevra hielt ihn fest. Etwas fesselte jetzt ihre Aufmerksamkeit. Es war die silberne Münze, die Gwyn sich wieder um den Hals gehängt hatte. Und dann tat sie etwas, was Gwyn zutiefst bestürzte: Sie ging vor ihm auf die Knie und begann zu weinen.
„Verschone den König“, brachte sie unter Tränen hervor. „Bitte. Ich flehe dich an.“
Gwyn schluckte. „Ich verspreche es.“
Guinevra stand auf. Sie lächelte traurig und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Nun geh“, sagte sie. „Und berichte der Welt vom Untergang Camelots. Gib Artur die Unsterblichkeit, die er verdient hat.“
Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und eilte davon.
Im Hass vereint
Im Burghof herrschte vollkommenes Chaos. Die Zelte der Bauern, die nach Camelot gezogen waren, um sich vor Mordred in Sicherheit zu bringen, wurden nun von Arturs Kriegern niedergetrampelt, die kopflos zu den Waffen eilten. Kleine Kinder schrien nach ihren Müttern, während ihre Väter nicht wussten, was sie tun sollten: die eigene Familie verteidigen oder Camelot, das einer scheinbar unausweichlichen Niederlage ins Auge blickte.
Im Vergleich zu der letzten Schlacht gegen Mordred herrschte diesmal keinerlei Disziplin. Der Geruch von Angst lag in der Luft und nur mit großer Mühe konnte Gwyn den Impuls unterdrücken, den Menschen zu Hilfe zu eilen und sie im hoffnungslosen Kampf gegen Mordred zu unterstützen.
Doch dies war nicht mehr sein Platz. Seine Verantwortung galt nun Katlyn, Muriel und Rowan. Dinas Emrys. Dem Gral. Und der Hoffnung, die alle in ihn setzten.
Gwyn kämpfte gegen den Strom an, der sich zum Haupttor wälzte. Niemand hielt ihn auf, kein Mensch erkannte ihn, als er der Küche zustrebte, um den Geheimgang zu benutzen, der ihn aus dem Auge des Sturms führen würde.
Gwyn war es geglückt, Camelot ungesehen zu verlassen. Er rutschte auf dem Hosenboden einen Wall hinab und versteckte sich hinter einem der gefällten Bäume, den Artur wohl in der Absicht hatte schlagen lassen, die Verteidigungsanlagen auszubauen. Doch der Feind stand schneller als erwartet vor dem Tor und nichts würde ihn aufhalten. Wenn Artur klug war, handelte er eine ehrenvolle Kapitulation aus, damit wenigstens die unschuldigen Bauern am Leben blieben. Doch Gwyn ahnte, dass Artur zu stolz dafür war. Und wahrscheinlich würde es ohnehin niemanden retten. Mordred wollte Blut vergießen.
Vorsichtig huschte Gwyn von Baum zu Baum, wobei er darauf achtete, nicht in die Fallen zu tappen, die Artur mit Sicherheit hatte ausheben lassen. Als er das nordwestliche Ende des Wäldchens erreichte, bot sich ihm ein weitläufiger Blick über das Schlachtfeld. Erste Scharmützel hatten bereits begonnen. Cadbury stand in Flammen, zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. Doch diesmal würde es niemanden geben, der es wieder aufbaute.
Was Mordreds Aufmarschpläne anging, hatte Gwyn sich getäuscht: Arturs Sohn kam nicht von Westen, sondern hatte sein Heerlager wohl im Norden errichtet. Es war ein Wunder, dass Gwyn und Urfin nicht geradewegs in die Arme des Irren geritten waren. Sein Heer begann sich zu formieren, ohne dass es von den Verteidigern dabei gestört wurde.
Beim Anblick dieser Übermacht wurde Gwyn schwindelig. Welch ein Gemetzel stand Artur bevor! Aber wo war er? Gwyn verrenkte den Kopf und versuchte einen Blick auf die Türme zu werfen, die das Tor flankierten. Da! Konnte er das sein? Diese hagere Gestalt im wehenden roten Mantel mit dem weißen Haar?
Eine beklemmende Stille lag über der ganzen Szenerie. Niemand sprach ein Wort, man hörte nur das Jammern der Bauern, die nicht sehen konnten, was sich in diesem Moment jenseits der Mauern zutrug. Wenn es eine letzte Gelegenheit gab, Camelot den Rücken zuzukehren, dann jetzt!
Gwyn legte sich auf den Bauch und kroch langsam auf das freie Feld. Bis zum Wald von Cadbury waren es zwei Meilen. Gwyn konnte es schaffen, denn die Aufmerksamkeit aller konzentrierte sich im Augenblick auf diese beiden Todfeinde gleichen Blutes, die sich unversöhnlicher denn je gegenüberstanden.
Gwyn robbte, so schnell er konnte, durch das hohe Gras. Er
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