Hab ich selbst gemacht
– in der DDR war es eine modische Überlebenstaktik.«
Überhaupt kann ich mich gut erinnern, dass wir immer viele Zeitschriften zu Hause hatten. Sie waren meistens schon ganz abgegriffen, die Schnittmuster und Bauanleitungen darin waren teilweise zerrissen, weil sie so oft mit dem Kopierrädchen traktiert worden waren, einem Zackenrädchen an einem Griff, mit dem man durch das Papier hindurch Schnittmuster als Löchlein-Linien auf das darunterliegende Zeitungspapier kopieren konnte. Meine Mutter und ihre Freundinnen tauschten die Zeitschriften untereinander. Ein Schnittmuster aus der Sibylle wurde teilweise bis zu eine Million Mal nachgenäht, stand in dem Interview mit Dorothea Melis.
Es gab außerdem die Zeitschrift Guter Rat. Die gibt es immer noch. Aber bis 1990 waren darin immer wieder Bauanleitungen zu finden, heute gibt Guter Rat vor allem Verbrauchertipps. Beides finde ich sehr exemplarisch für die jeweilige Warengesellschaft: selbst machen hier, kaufen da.
Es ist wohl aber noch heute so, dass in Ostdeutschland allgemein mehr gebaut und selbst gemacht wird, von der Marmelade bis zur Autoreparatur. Laut Branchenreport b+h markt lassen Ostdeutsche mit 331 Euro jährlich 84 Euro mehr im Baumarkt als Westdeutsche, die dort 247 Euro ausgeben.
Der Mann schaut mich etwas gequält an, wohl weil ich ihn das ganze Essen lang vollgequatscht habe. Damit, dass es in der DDR eben keine Fertigpizza und keine Dosenwaren gab und dass deswegen überall zu Hause selbst gekocht wurde. Oder dass es eben viel leichter war, an einem Trabi herumzuschrauben, in dem es keinerlei Elektronik gibt, als ein modernes Auto zu reparieren, das man ja nicht mal mehr aufgeschlossen kriegt, wenn die Elektronik versagt.
»Du bist mir unheimlich«, sagt der Mann. »Ich habe dich noch nie so von der DDR schwärmen hören.«
»Ich schwärme vom Selbermachen, das ist ein Unterschied. Auf den ich Wert lege.«
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Tag 219
Das Leben ist so einfach
An diesem Samstagnachmittag Anfang August sitze ich um Viertel nach vier mit dem Anderlbauer im Chiemgau am Brotzeittisch, schneide ein Stückchen von seinem Ziegencamembert, dem »Ziegenbert«, ab und verstehe, warum er vor 23 Jahren unbedingt Käse machen wollte: Das will ich nämlich auch können, solchen Käse.
In den beiden letzten Stunden ist alles noch recht theoretisch geblieben – Johann Huber, der Huber Hans, wie der Anderlbauer eigentlich heißt, hat mir seinen Hof gezeigt. Den zwei mal drei Meter kleinen ehemaligen Hühnerstall, den er selbst gekachelt hat, um anfangs dort, im fensterlosen Raum unter dem Heuschuber, vier Jahre lang jede Woche 30 Kilo Käse zu rühren. Er hat mir die Schafe gezeigt. Die Salatzucht. Den Weinkeller. Die Werkstatt. Und natürlich die Käserei.
Er erzählt, wie es kam, dass er, der eigentlich gelernter Zimmermann ist, zu einem wurde, dessen Käse nicht nur im Hofladen im Chiemgau verkauft, sondern auch in feinen Küchen wie der des Hotel Adlon serviert wird: Der Schreiner Konrad und der Bauer Sepp fragten den Zimmerer Hans so lange, ob er nicht eine Käserei eröffnen wolle, bis der Ja sagte. Sie wussten damals schon, wie gut der Käse vom Huber Hans schmeckte, denn er machte ab und zu welchen. Als Hobby.
Also lieferten, nachdem Hans endlich Ja gesagt hatte, Konrad und Sepp die Milch von ihren Ziegen, Schafen und Kühen bei ihm ab, und er machte daraus und aus der Milch seiner eigenen Schafe einen – wie seine Kunden sofort fanden – hervorragenden Käse.
Zuerst nur für den Hofladen. Doch wer vom Selbermachen leben will, das lerne ich, während Johann Huber erzählt, der darf nicht nur die Hände benutzen, sondern muss auch seinen Kopf anstrengen. Sein Geschäft kam richtig in Schwung, als er Etiketten mit seinem Namen auf den Käse klebte und ihn nicht mehr »nackt« im Hofladen verkaufte. Dieses Etikett sah dann zum Beispiel der Brotzeit-Besuch des Käufers und kam beim nächsten Mal gleich selbst vorbei, um ebenfalls Hubers Käse zu kaufen.
Es sprach sich also im Laufe der Jahre herum, dass da einer was vom Käsemachen versteht. Ein Delikatessengroßhändler aus dem Chiemgau nahm Hubers Produkte mit ins Sortiment, und so landete der Anderlbauer-Käse dann auch auf den schicken Tellern des Hotel Adlon, in der Kantine des Deutschen Bundestages oder auf den Gabeln der Prominenz im Borchardt’s. Manche seiner Käse reisen heute sogar bis nach Washington und Wisconsin, wo es einen Delikatess-Ladenbesitzer gibt, der ebenfalls Fan vom Anderlbauer
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