Hab ich selbst gemacht
Umweltpolitik in Neuseeland.
Der Mann kommt in die Küche und brummt: »Mhhh, das riecht gut. Ich decke den Tisch, dann kann’s gleich losgehen.«
Er schluckt beim Tischdecken immer wieder geräuschvoll. Auch mir läuft das Wasser im Mund zusammen, die letzten Keulchen nehme ich ungeduldig aus dem Fett und lege sie auf unsere Teller. »Guten Appetit«, sage ich zum Mann. »Oder wie man bei uns sagen würde: ’n juten!«
»An guadn!«, sagt er und steckt sich schon den ersten Bissen in den Mund.
Die Quarkkeulchen sind gut geworden, sie schmecken nach Berlin, und erstaunlicherweise gleichzeitig nach Sommer in Berlin und nach Winter bei Oma. Ein bisschen auchnach Ferienlager in Brandenburg. Als Kind war es mir gar nicht bewusst, dass es dieses Essen anscheinend ziemlich oft gab. Vermutlich deshalb nicht, weil es jedes Mal ein tolles Essen war, schön süß und fettig, wie sich Kinder eben eine perfekte Mahlzeit vorstellen.
Ich neige nicht zu Ostalgie, ganz im Gegenteil, aber jetzt denke ich an damals und erzähle dem Mann von Quarkkeulchen in der DDR , von meinen Sommern im Ferienlager und vom Schulessen und vom Nachmittagshort und dass wir dort eine Erzieherin hatten, die mit uns wahnsinnig viel gebastelt hat. »Ich weiß gar nicht, wo das ganze Zeug gelandet ist«, sage ich. »Vielleicht hat es meine Mutter nach und nach entsorgt? Ich meine, was will man mit so viel Schrott in der kleinen Plattenbaubude?«
Der Mann hört mir geduldig zu, holt einen neuen Schwung Quarkkeulchen aus dem Ofen und legt sie auf unsere Teller. Dann sagt er: »Ich find’s gut, dass bei euch echt jeder gelernt hat, mit seinen Händen zu arbeiten.«
Ich erzähle ihm auch vom Unterrichtsfach » ESP – Einführung in die Sozialistische Produktion«, das ich glücklicherweise nicht mehr, meine ältere Schwester aber sehr wohl noch hatte, und dass sie in diesen Unterrichtsstunden in einer Fabrik Muttern auf Schrauben drehen musste. Wir lachen uns ein bisschen kaputt über diesen Irrsinn.
Aber eigentlich hat er schon recht: Im Osten konnte jeder etwas Sinnvolles mit seinen Händen anfangen. Vor allem aber hatte Selbermachen nichts mit Sinnsuche zu tun. Ganz im Gegenteil. Es war einfach notwendig.
In der Planwirtschaft gab es eine Reihe von Dingen abwechselnd im Überfluss oder gar nicht, manches war permanent Mangelware. Also halfen sich die Menschen selbst, bastelten, tauschten oder funktionierten Waren kurzerhand um. Sie bauten sich Rasenmäher und sogar Landwirtschaftsmaschinen aus Einzelteilen zusammen, und jeder konnte irgendwie mauern, löten, schweißen, nähen, backen, kochen. Wer es nicht konnte, ließ es sich vom Nachbarn oder von der Freundin zeigen, erzählte mir meine Mutter mal. Ich kannte es von zu Hause ja genau so. Und wuchs in dem Bewusstsein auf, dass man eigentlich fast alles selbst machen kann – ein Ostbewusstsein, wie ich heute glaube. Nur dass es bei mir über die Jahre hinweg ein wenig verschüttgegangen ist.
Wobei ich meine Herkunft relativ lange noch daran merkte, dass ich vieles aufhob, weil ich »daraus ja noch was machen könnte«. Als Kind und Jugendliche neigte ich gefährlich zum Messietum. Als ich auszog, schmiss ich fast alles aus meinem Kinder- und Jugendzimmer weg, auch weil ich feststellen musste, dass ich aus all den Stoffresten, Papierfetzen, Papprollen, Eisen- und Plastikteilen in den vergangenen Jahren eben doch nichts gemacht hatte und wohl auch nicht mehr machen würde.
Zum Umfunktionieren von Waren las ich einmal in einem Interview mit Dorothea Melis, der ehemaligen leitenden Moderedakteurin der Ost-Modezeitschrift Sibylle: »In den 80er-Jahren gab es in der DDR kaum noch Bettlaken aus Baumwolle oder gutem Leinen. Denn daraus wurden Röcke, Hemden und Blazer gemacht. Damals waren – von den Hippies inspiriert – fließende Folklorehemden angesagt. Die Stoffe wurden dann selbst gefärbt, gebatikt, bestickt und paspeliert. In der DDR hatte sich eine ganze Mode-Subkultur entwickelt, die auf Märkten verkauft wurde.«
Und bei Spiegel Online stand: »Die Kleidung, die in den Zeitschriften zu sehen war, diente daher vor allem einem: Die Looks so zu präsentieren, dass man sie leicht nachschneidern konnte. (…) Die Mode in der DDR war in der Regel Mode Marke Eigenbau. Frauen ohne eine eigene Nähmaschine, so der Eindruck, gab es gar nicht. (…) Die Strategie, sich mit Vintage-Stücken auszustatten, um sich dem Mode-Diktat zu entziehen, ist heute dem Drang zur Individualisierung geschuldet
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