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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Ich bräuchte noch einmal Ihre Personalien. Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«
    Ich kramte fahrig in meiner Handtasche. Das war ihm ja reichlich früh eingefallen. Ungeduldig reichte ich ihm meinen Personalausweis hinüber. Er tippte die Daten im Schneckentempo ab und gab mir den Ausweis nach einer gefühlten Ewigkeit wieder zurück.
    »Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«, fragte er mich mit einem versöhnlichen Unterton in der Stimme. Seine Gebärden hatten wieder etwas Väterliches angenommen.
    »Danke, das schaffe ich allein«, lehnte ich eisig ab.
    Ich verabschiedete mich flüchtig und verließ die Polizeiwache. Ich würde Hans bitten, denen ordentlich Feuer unter dem Hintern zu machen. Ihr Verhalten konnte man nicht so durchgehen lassen.
    Ich setzte mich in meinen Wagen und fischte mein Handy aus der Tasche der Seitentür. Das Display leuchtete auf. Aber verdammt, warum konnte ich die Schrift nicht erkennen? Der Schock. Ich sollte nicht mehr lange herumtelefonieren und mir lieber gleich ein Taxi rufen. Meinen Wagen konnten wir morgen abholen. Ich hielt das Handy so weit wie möglich von mir weg und tippte mehr auf Verdacht die Nummer zur Taxizentrale.
    »Meinberg, ich hätte gern ein Taxi in die …«
    Mir brach augenblicklich wieder der Schweiß aus. Wo war ich hier?
    »Ich stehe hier vor der Polizeiwache und …«
    Ich sah mich verzweifelt nach markanten Gebäuden um. Es war bereits dunkel geworden. Renate , leuchtete es in giftgrün über einem Eingang. Anscheinend eine Bar oder eine Kneipe.
    »Gegenüber ist eine Bar«, stotterte ich.
    »Renate?«, intervenierte die Dame am anderen Ende freundlich.
    »Ja«, bestätigte ich.
    »Dann sind Sie vor der Wache in der Heinestraße. Wir schicken Ihnen einen Wagen vorbei. Er ist in fünf Minuten bei Ihnen.«
    »Danke«, hauchte ich. Es war mir egal, was sie von mir dachte. Ich würde gleich ein Taxi haben und nach Hause fahren. Duschen und ein Glas Rotwein trinken und schlafen.
     
     
    Interview: männlich, 39 Jahre
     
    Zum Wort ›alt‹ fällt mir als Erstes Familienschmuck ein. Uhren, handgeschnitzte Möbelstücke, Bücher und antike Vasen.
    Was ich an alten Menschen nicht mag? Das ist schwierig und gleichzeitig leicht zu beantworten. Es gibt nur wenige alte Menschen, die ich sympathisch finde. Deshalb fallen mir fast nur negative Eigenschaften ein. Ich empfinde alte Menschen oft als dreist. Zum Beispiel, wir haben in unserem Betrieb einen Pensionärsclub. Die treffen sich hier im Haus immer in einem Büro. Wenn man ihnen im Treppenhaus begegnet, benehmen sie sich nicht wie Gäste, sondern so, als gehörte ihnen das ganze Haus samt Inventar, und wir wären nur geduldet. Sie nehmen uns gar nicht ernst. Oder im Straßenverkehr. Sie verhalten sich, als hätten sie alle Rechte gepachtet, und es wäre selbstverständlich, dass man hinter ihnen langsamer und vorsichtiger fährt oder um sie einen Bogen macht. Wenn man sich beschwert, schauen sie durch einen hindurch, als wären sie gar nicht mehr von dieser Welt. Aber fahren Auto.
    Mir imponiert an alten Menschen, wenn sie nicht auf den Altenbonus setzen, sondern freundlich bleiben und fragen, wenn sie etwas möchten. Einfach so, wie andere Menschen auch. Die treffe ich selten.
    Wenn ich plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich die alte Wanduhr meiner Urgroßeltern mitnehmen. Die haben sie zu ihrer Hochzeit geschenkt bekommen und sie ist schon oft repariert worden. Das war für mich schon als Kind klar. Früher, wenn meine Eltern vom Krieg erzählten und sagten, dass sie bei Bombenangriffen so ein Köfferchen mit Papieren mit in den Keller genommen hätten, da habe ich gedacht: warum Papiere? Sie hätten doch diese wunderschöne Uhr in Sicherheit bringen müssen.
    Wenn ich mir vorstelle, 86 Jahre alt zu sein, sehe ich mich auf einer Bank vor einem Haus sitzen. Der Hauseingang geht nach Süden und ist sehr sonnig. Die Straße ist nicht viel befahren, aber es gehen viele Leute vorbei und ich betrachte sie. Voll das Klischee, aber so sehe ich mich.

Kapitel 6
     
    Lohstraße 54. Die Adresse stimmte. Außer diesen eindeutigen Erkennungsdaten erinnerte mich allerdings nur noch die Architektur des Gebäudes an mein Heim. Ich fuhr mir über das Gesicht. Das, was ich sah, konnte niemals wahr sein. Vor wenigen Stunden hatte ich ein weißes, schnörkelloses Haus verlassen. Nun waren seine Wände bis unters Dach mit Wildem Wein bewachsen. Erste Blätter leuchteten im Licht der Straßenlaterne in zarter Herbstverfärbung. Das

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