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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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überhaupt aus? Seit wann hatte ich Gardinen vor den Fenstern hängen? Hans wusste, dass ich keine mochte, und ich hatte angenommen, er sei der gleichen Meinung. Ich sah genauer hin. Es waren nicht irgendwelche Gardinen, sondern eine feine Filethäkelei. In dem Muster konnte man tanzende Wesen erkennen. Elfen oder Engel. Das war eindeutig Lillys Handarbeit. Wie um alles in der Welt kam die in meine Küche? War sie heimlich in unserem Haus gewesen und hatte sie eigenmächtig angebracht? Das würde durchaus zu ihr passen.
    Unsinn, wie sollte sie hereingekommen sein. Michelle, komm mal von diesen wahnhaften Komplottunterstellungen runter und kompensier erst einmal deinen Flüssigkeitshaushalt. Dehydration hat schon ganz andere Gespenster sehen lassen. Ich stellte mich an das Fenster und trank Schluck für Schluck ein großes Glas mit herrlich kühlem Wasser. Das tat gut. Der Augenblick der Entspannung war kurz. Ein Blitz jagte im Zickzackkurs über den Himmel. Ohne nachzudenken, begann ich zu zählen. Das hatte früher mein Vater immer mit mir gemacht. Neun Sekunden. Dann konnte man das dumpfe Anrollen eines gewaltigen Donners vernehmen. Das Gewitter war noch drei Kilometer entfernt. Vorsichtshalber zog ich schon das Fenster zu. Ich bemühte mich, die fremde Gardine dabei nicht zu berühren.
    Ich musste die anderen Fenster im Haus überprüfen. Das Gewitter würde bald über uns sein, und es schien ein heftiges zu werden. Auf dem Weg zu den Kinderzimmern erfüllte mich die Hoffnung, dass Mira und Lasse in ihren Betten liegen könnten. Mit Kopfhörern an den Ohren, ihre Lieblingsmusik hörend, oder sie schliefen schon friedlich, während ihre Mutter im Haus Amok lief. Auf die naheliegende Idee hätte ich gleich kommen können.
    Lasses Zimmer war verwaist und sah ebenso fremd für mich aus wie der Flur und die Küche. Unser Sohn war ein sehr ordentliches Kind, aber jetzt wirkte der Raum regelrecht unbenutzt. Das Fenster war verschlossen. Enttäuscht zog ich die Tür zu und ging zu Mira. Der Eindruck ihres Zimmers war noch verwirrender. Mira ließ normalerweise alles liegen und stehen. Sie verstreute gebrauchte Wäsche über frisch gebügelter und konnte nur mit Mühe dazu erzogen werden, sich nicht aus dem Stall kommend ungewaschen auf ihr Bett zu fläzen. Es war ein Wunder, wie sie sich ohne Kompass in ihrem chaotischen Ordnungssystem zwischen Reit–, Ballett- und Schulklamotten zurechtfand. Doch jetzt hätte ihr Zimmer gut und gern einen Ausstellungsraum für junge Mädchen in ›Schöner Wohnen‹ abgeben können. Sogar ihre allerersten Babypferde aus Kindergartentagen waren in Reih und Glied aufgestellt. Staubfrei. Die Ballettschuhe hingen der Größe nach geordnet an der Wand. Ich zog die Tür zu und atmete tief durch. Ich musste erst einmal zur Ruhe kommen. Eine Kleinigkeit essen. Vielleicht war ich unterzuckert. Aber ich verspürte keinen Hunger. Höchstens auf etwas Frisches, irgendetwas Leichtes. Ich ging in den Vorratsraum, um mir einen Joghurt zu holen. Hier umhüllte mich der unbekannte, süßliche Geruch mit seiner ganzen Intensität, da musste sich also seine Quelle befinden. Ich knipste das Licht an. Äpfel! Auf zwei Holzrosten lagen Äpfel. In den unterschiedlichsten Größen. Sie waren fein säuberlich, die Blütenstände nach oben gerichtet, auf das Gitter sortiert. Das sind Gravensteiner, dachte ich. Warum wusste ich auf Anhieb den Namen einer Apfelsorte? Ich hatte davon doch keinen blassen Schimmer. Und seit wann lagerten wir überhaupt Obst? Über den Holzrosten hing an der Wand ein Glasrahmen mit einem Foto. Hans. Er hockte strahlend auf der Wiese vor unserem Haus und hatte anscheinend gerade einen kleinen Baum gepflanzt. Neben ihm stand – ich kniff meine Augen zusammen, um besser sehen zu können – Lasse. Er hielt einen Spaten in der Hand und stützte sich stolz darauf ab. Er sah auf dem Bild wesentlich älter aus, als er war.
    Wann war das Foto aufgenommen worden? Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir einen Obstbaum gepflanzt hatten. Wir waren uns doch einig, dass wir keine Zeit für Obst- und Gemüseanbau hatten. Schon gar keine dafür, die Früchte hinterher zu verarbeiten. Die konnte man bequemer und genauso frisch auf dem Markt kaufen. Ich kehrte verwirrt, ohne Joghurt, in die Küche zurück und füllte mein Glas erneut mit Wasser.
    Träumte ich vielleicht? Fühlten sich Träume so an? Ich musste mir eingestehen, dass ich das Gefühl eines Traumes nicht einschätzen konnte. Ich schlief

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