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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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möchten gern einen Wagen in die Seestraße, ›Domizil am See‹. – Ja, genau.«
    »Nein, wir warten am Eingang in ungefähr …«, Magdalene suchte meinen Blick, »einer Viertelstunde.«
    Ich nickte heftig. Endlich kam etwas in Gang.
    »Nein«, sagte sie. »Nein, das würde die Dame sicher nicht stören. Ihre Fahrt geht ja nur bis zur Laubenkolonie am See. Das wäre sogar passend.«
    Stille. Längere Zeit. Magdalene zog beim Zuhören ihre Stirn in Falten und sah zunehmend irritiert aus.
    »Wenn Sie meinen. Auf Wiederhören«, sagte sie betont herablassend. Sie legte das Handy ärgerlich beiseite.
    »Was ist?«, bedrängte ich sie. »Nun sagen Sie schon!«
    »Er fragte, ob es Sie stören würde, wenn ein weiterer Fahrgast mit in die Innenstadt fährt.«
    »Und?«
    »Sie haben meine Antwort gehört. Der Mann in der Zentrale sagte daraufhin, die Laubenpieper gäbe es dort schon lange nicht mehr. An dem Platz stünden jetzt Reihenhäuser. ›Schöner Wohnen‹ mit Blick auf den See.«
    Ich starrte sie fassungslos an. Die Laubenkolonie sollte es nicht mehr geben?
    »Spinnt der Typ?«
    Magdalene lachte bitter auf. »Das Gleiche nimmt er von uns an. Nun ja, unsere Hausadresse spricht nicht gerade für unsere Glaubwürdigkeit.«
    »Und nun?«
    Magdalene zuckte mit den Achseln und schwieg.
    Die Laubenkolonie sollte verschwunden sein. Platt gemacht. Mein einziger Halt war Magdalenes Reaktion. Sie schien davon auch nichts gewusst zu haben. Ein schwacher Trost, der mich nicht wirklich beruhigte.
    »Wir werden uns für längere Zeit nicht sehen«, hörte ich im Geiste Mamas warnende Stimme.
    »Was hast du vor? Willst du ans Ende der Welt?«, habe ich gespottet.
    »Ja, so könnte man es nennen«, war ihre ernste Antwort. »Michelle, hör gut zu, und schau dich genau um. Aber du darfst keine Angst haben, hörst du. Versuch, keine Angst zu haben.«
    Während ich das dachte, spürte ich, wie die Angst mit einer gewaltigen Macht in mir hochkroch, und ich hätte am liebsten laut um Hilfe geschrien.
     
    Interview: weiblich, 13 Jahre
     
    Bei dem Wort ›alt‹ denke ich an einen Schaukelstuhl, Wolle, Strümpfe stricken, Kuchen backen, eine Blumenwiese und Falten. Ganz viele Falten.
    Ich mag an alten Menschen nicht, wenn sie so laut reden, fast schreien, weil sie selbst schlecht hören können. Wenn man das Gesagte ständig wiederholen muss, und wenn sie immer wieder die gleichen Geschichten erzählen. Man soll ihnen aufmerksam zuhören, als hörte man sie zum ersten Mal.
    Ich habe erst mal Respekt vor alten Menschen, weil sie schon so viel erlebt haben und wissen. Und ich bewundere ihre Fröhlichkeit, obwohl sie schon durch das ganze Leben gegangen sind.
    Wenn ich mein Heim ganz plötzlich verlassen müsste, würde ich mein Sparschwein mitnehmen. Ja. Das ist auch immer so in meinen Albträumen, wenn unser Haus brennt. Ich rette mein Sparschwein.
    Wenn ich 86 Jahre bin, wohne ich in einem alten Haus aus Holz mit Fensterläden. Ich trage so eine Omaschürze und habe einen weiten Rock an. Ich sitze im Schaukelstuhl auf der Veranda, und um mich herum hockt eine Schar Enkelkinder, denen lese ich Geschichten vor.

Kapitel 13
     
    »Beruhigen Sie sich erst einmal. Angst ist kein guter Berater.«
    Magdalene war hinter mich getreten und umfasste fürsorglich meine Schultern.
    »Nein, das ist sie nicht«, murmelte ich und gab mich ein paar Herzschläge lang der Wärme ihrer Hände hin. Einfach so sitzen bleiben und alles vergessen. Magdalene hatte die wundervolle Gabe, ein Gefühl von Geborgenheit herüberzubringen. Und – sie wirkte nicht ansatzweise geistig verwirrt. Ich drehte mich zu ihr um.
    »Wieso sind Sie eigentlich hier? In einem Wohnheim für – für Demente?«
    Sie lächelte resigniert. »Ich hatte die Wahl zwischen einer psychiatrischen Station mit verschlossenen Türen und diesem freundlichen Haus.«
    Ich sah sie verständnislos an.
    »Um hierher zu kommen, brauchte ich nur so zu tun, als ob ich mitspiele. Sie wollten eine harmlose Altersverwirrte sehen. Bitte sehr. Ich habe mich ihrem Erwartungsbild angepasst. Doch glauben Sie mir, die werden sich noch wundern. Und zwar so richtig.«
    In ihrem Gesicht spiegelte sich für einen Augenblick wilde Entschlossenheit. Dahinter flackerte eine Leidenschaft, die meine Angst wieder aufleben ließ. Die werden sich noch wundern. Das hörte sich verdächtig nach Verfolgungswahn an. Aber Magdalenes ganze Ausstrahlung passte nicht zu dem Krankheitsbild. Da hatte ich eine gute Intuition. Bis

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