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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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gestern jedenfalls. Konnte ich ihr immer noch vertrauen? Es blieb mir nichts anderes übrig, wenn ich nicht komplett durchdrehen wollte. Und die augenscheinlichen Argumente sprachen für Magdalene. Sie wirkte weder von irgendeiner mysteriösen Macht getrieben, noch versuchte sie, mir ihre Sichtweise aufzudrücken, um in mir eine Verbündete zu gewinnen. Das hatte eher ich getan. Und zwar nicht zu knapp. Trotzdem fühlte sich Magdalene von mir anscheinend nicht bedroht und war bereit, mir zu helfen. Nur das zählte. Ich beschloss, ihre letzten Worte einfach überhört zu haben.
    »Ich werde nach Hause fahren«, ging ich übergangslos zu meinem eigentlichen Anliegen über. »Vielleicht kann ich mich in vertrauter Umgebung wieder erinnern. Hier ist alles in mir blockiert.«
    Mit meinem Vorhaben setzte ich auf Magdalenes Wohlwollen. Immerhin hatte sie mich ermutigt, mich zu erinnern und mein Altsein anzunehmen. Dabei war ich weit von dieser Einsicht entfernt. Ich hoffte, eine ganz andere Erinnerung zu finden. Nämlich den Schlüssel, um diesen Irrsinn schnellstmöglich zu beenden.
    Leider reagierte Magdalene wenig begeistert. »Sie wollen nach Hause? Ich glaube nicht, dass das ein schlauer Einfall ist. Wir sind hier zwar nicht eingesperrt, aber … Nun, sagen wir, wir sind auf das Goodwill derer da draußen angewiesen.«
    Ich lauschte konsterniert ihren Worten.
    Sie nickte nachdrücklich. »Ja, ja. Ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Es ist eine Tatsache. Ich bin abhängig von meinem elenden, hinterlistigen Neffen, der nur darauf wartet, dass ich mich falsch bewege. Und Sie, meine Liebe, von Ihren Kindern.«
    Meine Kinder. Vor meinem geistigen Auge tauchte der spargelige Lasse auf, der sein Unterhemd links herum anzog, wenn man nicht auf ihn achtete. Daneben meine chaotische Mira, die für ihr Zimmer einen Kompass brauchte und alles Mögliche im Kopf hatte, aber sicher nicht die Betreuung ihrer Mutter. Bei der Vorstellung musste ich gegen meinen Willen lachen. Magdalene erwiderte es nicht. Sie betrachtete mich weiterhin mit Grabesmine.
    »Glauben Sie mir einfach, Frau Meinberg. Wir müssen so tun, als bewegten wir uns innerhalb des Rahmens, den sie uns bieten. Dann sind sie beruhigt und lassen uns in Frieden.«
    »Aber hier habe ich keinen Frieden! Ich will verstehen, was mit mir los ist. In diesem Haus kann ich nicht richtig denken. Vielleicht werde ich sogar«, ich schluckte, »werde ich mich überwinden und Lilly bitten, mir zu helfen. Immerhin hat sie mir diesen ganzen Hokuspokus eingebrockt. Behauptet jedenfalls meine Mutter.«
    Durch Magdalenes Körper ging ein Ruck. Sie sah mich mit geradezu brennenden Augen an, als wäre ihr gerade das berühmte Licht aufgegangen.
    »Lilly? Ist das die Freundin Ihrer Mutter?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
    »Ja, genau«, bestätigte ich irritiert.
    »Gut, dann gehen wir!«, sagte Magdalene entschlossen und erhob sich. Sie wirkte plötzlich wie aufgedreht. Obwohl ich lieber früher als später hier weg wollte, fühlte ich mich von Magdalenes schlagartiger Wandlung überrollt. Gerade hatte sie mir noch eine Gardinenpredigt gehalten, warum es klüger wäre, hier zu bleiben und abzuwarten. Und nun eine Wende von 180 Grad. Sie wollte mich sogar begleiten. Einzige Erklärung: Ich musste unwissentlich ein Schlüsselwort benutzt haben. Die dadurch ausgelöste Dynamik war mir unheimlich, aber ich gehorchte.
    Weggehen hörte sich grundsätzlich erst einmal gut an. Ich stand ebenfalls auf und öffnete den Kleiderschrank. Magdalene trat hinter mich und drückte die Schranktür einfach wieder zu.
    »Sie müssen Ihre Sachen hierlassen. Das wäre zu auffällig. Wir tun so, als wollten wir im Park spazieren gehen. Ich nehme wie immer meine Handtasche mit und Sie diesen – diesen Kinderkoffer. Den hatten Sie ja auch zum Frühstück dabei.«
    Ich nickte verdattert. Das klang nach Logik. Magdalene hatte anscheinend einen Plan. Da ich keinen hatte, außer dem dringenden Wunsch wegzukommen, folgte ich ihren Anweisungen.
     
    Als wir im Erdgeschoss aus dem Fahrstuhl stiegen, klopfte mir mein Herz gefühlt bis zum Hals. Das Frühstücksgeschirr hatte man längst abgeräumt. Auf den Tischen standen nun zierliche Vasen mit blauen und gelben Astern. Nur ein Mann stand am Fenster und sang. Seine wohlklingende, kräftige Stimme erfüllte den ganzen Raum. Er sang in lateinischer Sprache. Das hörte sich wie ein gesungenes Gebet an.
    Magdalene reichte mir ihren Arm, und ich hakte mich wie

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