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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Güte, schon wieder ein Spruch meiner Mutter. Man sagt, dass man sich im Alter besser an die Worte der Eltern erinnert. Ihre Ratschläge erscheinen plötzlich wie in Stein gemeißelt. Demnach war ich wirklich alt.
    Magdalene lehnte ein zweites Glas ab. »Das ist zu viel Flüssigkeit. Ich muss etwas erledigen.« Sie stand schon an der Tür und glättete mit fahrigen Bewegungen ihren Rock.
    »Ich komme mit!«, rief ich spontan.
    Magdalene knetete ihre Hände. Sie rang sichtlich mit sich. Dann kam sie mit einer schnellen Bewegung auf mich zu und hauchte mir einen zarten Kuss auf die Wange.
    »Danke. Ganz lieben Dank fürs Zuhören. Aber das, was ich jetzt vorhabe, das muss ich allein schaffen. Ich lasse Ihnen Geld hier, damit Sie sich etwas zu essen bestellen können. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin bis zum Abend zurück.«
    Ich konnte ihren Worten kaum folgen. Die Berührung ihrer Lippen hatte mich völlig außer Gefecht gesetzt.
    »Machen Sie bloß keinen Scheiß«, konnte ich nur murmeln.
    Sie richtete sich auf. Ein Hauch von Lächeln ging über ihr gerötetes Gesicht. »Sie sprechen wirklich nicht wie eine alte Dame.«
    Damit drehte sie sich entschlossen um und verließ das Zimmer. So hastig, dass ihr die Klinke beim Schließen der Tür zweimal aus der Hand rutschte.
    Ich blieb am Tisch sitzen und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wie lange? Keine Ahnung. Irgendwann drang das Gefühl, allein gelassen zu sein, zu mir durch. Das weckte wieder meine Lebensgeister. Egal, was Magdalene gesagt hatte, ich wollte sie begleiten. Ich musste sogar! Sie hatte sich ungewöhnlich verhalten. Regelrecht hektisch. Das passte ganz und gar nicht zu der selbstsicheren Frau, die ich am Morgen kennengelernt hatte.
    Ich beeilte mich, ihr zu folgen. Ihre Zimmertür war bereits abgeschlossen, und der antiquierte Fahrstuhl befand sich schon im Erdgeschoss. Das Treppenhaus. Nein, das konnte ich vergessen. Ich war zu spät in Gang gekommen und würde Magdalene nicht mehr einholen. Wahrscheinlich saß sie bereits in einem Taxi. Ich ahnte, wohin die Fahrt gehen sollte. Zu ihrem sauberen Neffen. Aber wo wohnte der? Ich wusste von ihm nur, dass er Norbert hieß. Magdalenes Hausadresse kannte ich nicht, und in der Rezeption hatte sie falsche Namen angegeben. Ich wagte es nicht, dort nach einem PC zu fragen. Ich war eine alte Frau, und vielleicht würde man mir helfen wollen. Das würde unnötige Aufmerksamkeit erregen, weil ich keine konkreten Angaben machen konnte. Ein Königreich für mein Handy mit Internetzugang! So blieb mir keine andere Wahl. Ich musste auf Magdalene warten. Eine von mir zutiefst verabscheute Disziplin.
    Ich begann, wie ein unruhiger Löwe im Käfig in meinem Hotelzimmer hin und her zu gehen. In meinem Kopf kreisten die übelsten Befürchtungen. So wie Magdalene diesen miesen Erbschleicher beschrieben hatte, war der zu allem fähig. Der hatte auf eine wirklich ekelhafte Art und Weise seinen Onkel um die Ecke gebracht. Noch mehr Sorgen machte mir seine Kaltblütigkeit. Er hatte nicht einkalkulieren können, dass seine Tante ihn bei der speziellen Geschenkübergabe beobachten würde. Auch nicht, dass sie dermaßen ausrastete. Und doch hatte er ohne ersichtliche Anstrengung das Blatt zu seinen Gunsten gewendet. Aalglatt. Er hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt, seine Tante als unzurechnungsfähige Frau präsentiert und sich als potenzieller Betreuer aufgedrängt. Der war mit allen Wassern gewaschen und würde sich von Magdalenes Vorwürfen niemals beeindrucken lassen. Lächerlich!
    Oder wollte sie mehr, als ihn nur zur Rede stellen? Sie hatte so befremdend anders gewirkt. Wie ferngesteuert. Ich bin am Abend wieder zurück, hatte sie gesagt. Das hörte sich schwer danach an, dass sie etwas ganz Bestimmtes im Schilde führte. Besaß sie vielleicht eine Schusswaffe? Ich hoffte nicht. Die würde ihr nicht weiterhelfen. Ganz im Gegenteil. Magdalene war zwar tief verletzt, aber sie war nicht gewalttätig. Sich in wüsten Rachefantasien etwas auszumalen, war die eine Sache. Einem Menschen wirklich gegenüberzustehen und abzudrücken, die andere. Das hatte mir letztens erst eine Patientin bestätigt. Sie war Kriminalkommissarin und hatte in einer hoch prekären Situation nicht schießen können. Sie hätte einfach nicht den Finger bewegen können. Durch ihr Versagen hatte sie einen Kollegen in Lebensgefahr gebracht. Es war noch einmal gut gegangen. Doch seither saß ihr die Angst vor dem nächsten Mal im Nacken.
    Ganz

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