Haben Sie das von Georgia gehoert
hatte; manchmal passierte so etwas ganz ohne ihr Zutun. Sie reagierte nicht auf sein Ansinnen, behielt es aber im Hinterkopf.
Diese bloße Andeutung genügte, um ihn zu erweichen. »Ach, ich weiß nicht …«
Das fatale Schwanken in seinem Tonfall entging ihr nicht. »Lasst ihn laufen, Lester. Ich schwöre dir, das alles ist ein großer Irrtum.«
»Na ja, vielleicht, wenn du bereit wärst …«
»Absolut. Ich übernehme die volle Verantwortung.« Georgia drückte seinen Arm, um das Versprechen zu bekräftigen. »Er bleibt hier bei mir und fährt morgen nach New Orleans zurück. Ist das okay?«
Nathan blickte starr zu Boden, stumm wie ein Baum und mit völlig ausdruckslosem Gesicht. Wenn man ihn so sah, hätte man nie beurteilen können, ob er unschuldig oder schuldig war. Seine Miene verriet nicht das Geringste.
Er ist schon öfter festgenommen worden, dachte Georgia. Er weiß genau, wie er sich zu benehmen hat.
Lester Pine wandte sich an Clay Ford. »Wir müssen ihn laufenlassen.«
»Ja, verdammt noch mal«, schimpfte Clay, »da erwischt man sie in einem fremden Haus, und dann sollen wir sie trotzdem laufenlassen. Verflucht, wenn du mich fragst – das behindert uns doch in der Ausübung unserer Dienstpflicht, oder?«
»Es ist ein falscher Alarm«, erklärte Lester. »Sie kennt ihn. Er hatte die Erlaubnis, sich im Haus aufzuhalten. Frag mich nicht, warum.«
Georgia hatte auf diese unausgesprochene Schlussfolgerung gewartet, und da war sie: In Six Points fand man es ungewöhnlich, dass ein afroamerikanischer Mann sich mit Genehmigung einer weißen Lady in deren Haus aufhielt – außer um irgendeine Arbeit zu verrichten.
»Ein falscher Alarm? Das ist kein falscher Alarm!« Little Mama wandte sich gegen den Cop, der ihr am nächsten stand, den großen alten Jack Logan, und schlug ihn – fest! – auf den Unterarm. »Wagt es ja nicht, ihn laufenzulassen! Der Junge ist in mein Haus eingebrochen!«
»Hey, Miz Bottoms, Ma’am«, sagte der verwirrte Logan, »schlagen dürfen Sie mich aber nicht, das kann ich nicht zulassen, ich bin ein Vertreter des Gesetzes.«
»Halt die Klappe!« Little Mama schlug ihn noch einmal auf den Arm. »Verschwindet von meinem Grund und Boden!«
»Mama, hör auf damit!«, rief Georgia.
Jack Logan nahm Mama das Luftgewehr aus der Hand und lehnte es an das Verandageländer. Dann trat er hinter sie, umschlang sie sanft mit einem fleischigen Arm und presste ihre Hände an die Seite. »Miz Bottoms, hören Sie auf damit, ja? Ich muss Ihnen sonst Handschellen anlegen.«
»Mama, um Himmels willen!«, rief Georgia.
Little Mama sträubte sich und versuchte, ihm ans Schienbein
zu treten. Logan lächelte grimmig; es war erheiternd, wie diese kleine alte Lady ihm Widerstand leistete. Er hob sie einarmig hoch – wie Popeye mit diesem muskulösen Unterarm. Little Mama kreischte und trat nach ihm, und Logan verzog das Gesicht, als sie einen ordentlichen Treffer landete.
Georgia hatte sich gefragt, wie sie die Polizisten von Little Mamas Unzurechnungsfähigkeit überzeugen sollte, aber das hatte Little Mama ganz allein erledigt.
Plötzlich kam Georgia sich töricht vor. Offenbar war sie heute Abend besonders begriffsstutzig, oder die Flut der Ereignisse hatte sie so abgestumpft, dass sie Mama einfach mit dem Jungen alleingelassen hatte. Sie wusste doch, wie schnell die Realität ihr entgleiten konnte. Als ihr klar gewesen war, dass Nathan die Nacht hier verbringen würde, hätte sie Sheriff Bill absagen müssen. Aber sie hatte ihr sorgfältig geplantes Leben nicht durch etwas so Lästiges wie die Frucht ihres Leibes durcheinanderbringen lassen wollen.
Little Mama bekam einen Fuß frei und holte zu einem letzten Tritt gegen Officer Logan aus. Ihre Ferse stieß an das Verandageländer. Georgia verfolgte, wie der Lauf des Luftgewehrs am Geländer entlangrutschte. Die Zeit lief langsamer, wie sie es immer tut, wenn sich vor den Augen des Betrachters eine Katastrophe abspielt.
Das Gewehr ging in den freien Fall über und landete mit einem leisen Knall auf den Dielen.
Der Knall kam von dem Schuss, der sich löste.
Der Bolzen durchschlug den Hosenboden von Jimmy Wagners khakifarbener Uniform. Wenn man ihn so heulen hörte, hätte man glauben können, er habe ihn in der Mitte durchgerissen. »Ich bin getroffen! Ich bin getroffen!«
Clay Ford stürzte zum Streifenwagen und zum Funkgerät. »Officer am Boden!«, brüllte er. »Schusswaffengebrauch! Officer am Boden! Ich brauche
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