Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
uns etwas erzählen wollen, und wir dürfen ihre Tagebücher nicht in den Sperrmüll geben, denn sie sind an uns gerichtet– die Erfahrungen ganzer Generationen zu vernichten, diese Verschwendung können wir uns nicht leisten. Wir müssen uns bücken und aufheben, was nicht vergessen werden darf: Es ist unsere Geschichte, die da verhandelt wird.«
Sie wird auch heute verhandelt, Tag für Tag. Die Diktatoren und ihre Gräueltaten sind aus der heutigen Welt nicht verschwunden. Aber es gibt Zeichen der Hoffnung, dass die Freiheitsliebe der Völker stärker ist als die ihnen durch Tyrannen auferlegte Knechtschaft.
Joachim Gauck
Berlin, im Januar 2012
Walter Kempowski
Haben Sie Hitler gesehen?
Deutsche Antworten
Mit einem Nachwort von Sebastian Haffner
Vom Autor überarbeitete und erweiterte Fassung aus dem Jahr 1999
Die Jahreszahlen verweisen auf das Geburtsjahr der jeweiligen befragten Person.
Editorische Notiz
» Haben Sie Hitler gesehen?«– diese Frage legte ich etwa fünfhundert Bundesbürgern vor, Freunden, Verwandten, Kollegen, Museumswärtern, Kaufleuten und Rentnern. Anfangs stellte ich die Frage lediglich, um Hintergrundmaterial für meinen Roman Tadellöser & Wolff zu gewinnen. Dann merkte ich, daß die Antworten von allgemeinerem Interesse sein könnten. Die erste Ausgabe dieses Buches erschien 1973. Die jetzt vorliegende Ausgabe wurde von mir um etwa ein Drittel erweitert. Geordnet wurden die einzelnen Aussagen so, daß sie Hitlers Auftritte chronologisch projizieren.
Walter Kempowski
1
Kfm. Angestellter, 1921
Nein, Hitler hab ich nicht gesehen. Ich war immer an der Front.
Hausfrau, 1928
Da gingen wir nicht hin. Mein Vater wollt’ ihn gar nicht sehen, und deshalb kamen wir da gar nicht hin.
Schriftsteller, 1906
Ich habe Hitler nie gesehen. Mir genügten schon seine Plakate– er war mir sehr unsympathisch.
Kaufmann, 1913
Ich war im Felde, vier Jahre mitgemacht, Hitler hab’ ich nicht gesehen.
Kfm. Angestellte, 1914
Nein, ich weiß, daß er oft da war. Aber das ist doch genauso wie heute, ich würde doch auch nicht auf die Straße gehen, um mir die Queen anzusehen. Ich bin darin, glaube ich, ein typischer Steinbock: So was imponiert mir nicht. Ich hab’ gar nichts gegen die Queen, aber ich würde niemals hingehen und mir die ansehen. Ich würde auch nicht hingehen, wenn Brandt kommt, aber abgesehen davon, hab’ ich den schon gesehen in der Oper, da brauchte ich gar nicht hinzulaufen.
Österreicher, 1908
Nee, nee, Hitler habe ich nie gesehen. Keinen von diesen Herren. Doch, Himmler habe ich mal gesehen. Das war 1938, wir wurden gerade annektiert. Wir waren ja so begeistert, an Deutschland angeschlossen zu sein. Da kam Himmler, um zu sehen, was da war, wollte sich vielleicht die Gegend ansehen. Ich habe keine große Ahnung mehr, wie er war. Aber die Bilder, die man von ihm sah, trafen zu, auch wenn sie verschönt waren. Ich habe ihn ja nur im Halbdunkel gesehen, abends, als er die Truppen inspizierte.
Krankenschwester, 1931
Hitler selbst hab’ ich nie gesehen.
Schade, daß sie das alles gesprengt haben. Aus dem Berghof hätte man ein schönes Sanatorium machen können. Das Haus selbst war ja sehr bescheiden, aber die Anlagen drum herum und im Felsen drin. Was heute so für Häuser gebaut werden, so feudal war das Haus da nicht.
Musikwissenschaftler
Ich habe Hitler persönlich nie gesehen, aber ich war einmal Unter den Linden bei irgendeiner Gelegenheit, wo er sprach, und die Stimme wurde ja durch Lautsprecher übertragen, aber er blieb meinen Augen verborgen, ich weiß nicht, wo er eigentlich stand, es war, glaube ich, auf dem Platz neben der Staatsoper oder so, es war überfüllt von Menschen, so daß ich sein Gesicht nicht habe wahrnehmen können. Mich drängte es auch nicht danach.
Ein Mann
Nein. Jemand der mit Unrecht anfängt, endet mit Unrecht, wurde gesagt.
Berlinerin, 1910
Nein. Aber ein guter Bekannter, ein Chirurg, hat ihn gesehen, ein Mann, der nun ja wirklich von seiner Intelligenz her es hätte wissen müssen, ich hör ihn noch, wie er sagt: Hitler kann doch nicht heiraten! Der ist doch für uns alle da.
Lehrer, 1937
Nein, ich habe Hitler nicht gesehen, ich war ja noch zu klein. Aber mein Onkel. Der war krasser Hitlergegner, und dann ist er Hitlerfanatiker geworden, weil über dem Stadion, wo er sprach, die Sonne plötzlich so durch die Wolken gebrochen sei. Und dann all die Massen.
Krankenschwester, 1931
Ich habe ihn nicht gesehen, aber mein Vater. Es
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