Habgier: Roman (German Edition)
Menschen und Fahrzeugen. Decker traf erst einmal mit seinen Detectives zusammen, ehe sie die Straßen neu unter sich aufteilten.
Hunderte von Türen, an die noch geklopft werden musste: und dann die Angst in den Augen, die von Ruß geschwärzten Arme, die Kartons trugen, und Hände, die Koffer umklammerten. Schemenhafte Gestalten huschten von Haus zu Haus, von Auto zu Auto. Herrenlose Hunde streunten auf den Wegen und bellten verzweifelt und erstickt, sichtlich am Rande ihrer Kräfte.
Es war zwar nicht ganz die Hölle, aber eine verdammt gute Imitation.
Decker arbeitete ohne Pause, während die Flammen sich in die Nacht hineinfraßen.
2
Die Polizei schuftete in Achtzehnstundenschichten. Decker ergatterte genug zu essen, um seinen Magen zu beruhigen, aber hinterher konnte er sich nicht mehr daran erinnern, überhaupt einen Bissen zu sich genommen zu haben. Die Informationen, die das Notfallteam erreichten, waren unvollständig und widersprüchlich. Keine terroristische Vereinigung bekannte sich während der ersten vierundzwanzig Stunden nach dem Absturz zu einem Anschlag, was die angespannten Nerven aller beruhigte. Decker dachte nur, in was für einer Welt sie lebten, in der jeder auf technisches Versagen hoffte. Augenzeugen berichteten, dass die Maschine bereits vom Start an in Schwierigkeiten gewesen war. Der Aufstieg war noch nicht beendet, als das Flugzeug plötzlich mit der Nase voran abstürzte. Niemand hatte eine Explosion gesehen, und bis jetzt gab es auch keine Videos von dem Crash.
Siebenunddreißig Stunden nach dem Absturz des West Air Fluges 1324 auf das Gebäude mit der Adresse 7624 Seacrest Drive verkündete die Feuerwehr, das Flammeninferno sei unter Kontrolle, jedoch bei weitem nicht überall gelöscht. Das Flugbenzin nährte das Feuer immer noch, und selbst in Gebieten, in denen es nicht mehr brannte, bestand das Risiko von Schwelbränden. Es würde ein paar weitere Tage dauern, bis die Anwohner wieder nach Hause könnten. Die Regierung hatte den Unfallort zum Katastrophengebiet erklärt und erleichterte so den Überlebenden, Hilfsgelder vom Staat und Kredite zu bekommen.
Aus den Informationsfetzen, die Decker zu Ohren kamen, bevor er sie wieder vergaß, konnte er schließen, dass man zwischen sechzig und siebzig Tote zu beklagen hatte, wobei siebenundvierzig von ihnen die glücklosen Passagiere waren. Die Verluste am Boden wurden immer noch gezählt.
Decker durfte nach zweiundvierzig Stunden Dauerschicht gehen. Sollte er selbst nach Hause gefahren sein, so konnte er sich nicht mehr daran erinnern, ein Auto bewegt zu haben. Weder wusste er, ob er seine Frau und seine Tochter gesehen noch ob er geduscht hatte. Die Erschöpfung hatte alle Bilder seiner Ankunft zu Hause gelöscht. Sein Bewusstsein setzte erst wieder ein, als Rina ihn morgens um neun Uhr weckte. Er war verwirrt, aber nicht ungehalten, und wischte sich mit dem Ärmel seines Pyjamas über sein schweißnasses Gesicht, wobei er auf dem Stoff eine schwarze Spur aus Ruß hinterließ.
Rina reichte ihm das schnurlose Telefon. »Captain Strapp will dich sprechen.«
Decker klemmte sich das Mobilteil zwischen Schulter und Ohr. Strom und Telefon mussten irgendwann während seines Einsatzes wiederhergestellt worden sein.
»Bei uns kommen jetzt die Anrufe rein, Pete. Verwandte der Bewohner des Unglückshauses und der nächsten Umgebung. Leute, die wissen wollen, ob ihre Liebsten tot oder lebendig sind. Ich will, dass Sie eine Task Force zusammenstellen und so viele Namen wie möglich sammeln. Und besorgt euch die Röntgenbilder bei den Zahnärzten, damit ihr Namen und Fakten parat habt, sobald die Rechtsmediziner ans Identifizieren gehen. Das beschleunigt die ganze Sache.«
Decker nahm wahr, dass Strapp Englisch mit ihm redete, aber die Bedeutung seiner Worte drang nur langsam zu ihm durch. »... haben wir denn schon eine Liste der Bodenopfer?«
Strapps Stimme klang angespannt. »Sind Sie gerade erst aufgewacht?«
»Meine Frau hat mich eben geweckt.« Decker sah auf die Uhr. »Ich bin erst seit knapp acht Stunden zu Hause.«
»Wie lang waren Sie im Einsatz?«
»Ungefähr zweiundvierzig Stunden.«
»Du meine Güte, das sind eine Menge Überstunden!«
»In der Tat.« Decker hoffte, dass er nicht sarkastisch klang.
»Um Ihre Frage zu beantworten: Wir haben noch keine Liste der Bodenopfer. Genau darum sollen Sie sich kümmern. Ihre Task Force kontaktiert die Familien der möglichen Opfer und sammelt die Namen. Sie sind sozusagen das
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