Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
um Karriere machen zu können. Küche, Heim und Herd, das wäre nichts für sie.«
»Wissen Sie, zu welchem Gynäkologen sie ging?«
Judith Eschbach nickte und nannte ihm den Namen sowie eine ungefähre Adresse in Mögeldorf.
»Ich kann es immer noch nicht glauben, was Sie da sagen. Es steht in so krassem Widerspruch zu dem, was Annika behauptete zu wollen.«
Mit einem Mal liefen ihr Tränen über die Wangen, und sie blickte zum Fenster hinaus. Da es nichts Tröstendes gab, was Hackenholt hätte sagen können, schwieg er und wartete, bis der Moment vorüber war und sie sich wieder gefasst hatte. Er beschloss, das Gespräch zu beenden.
Als er sie zur Pforte begleitete, fiel ihm noch eine letzte Frage ein: »Hat Ihre Freundin jemals etwas von einem Ludwig oder Lu Kork erzählt?«
Judith Eschbach dachte angestrengt nach. »Nein«, erklärte sie dann entschieden. »Den Namen hat sie nie erwähnt.«
***
Eine weitere schlaflose Nacht lag hinter Ludwig Kork. Erst im Morgengrauen waren ihm die Augen vor Erschöpfung zugefallen. Wie in den vorherigen Nächten hatte ein Alptraum den nächsten gejagt. Als er am Vormittag erwachte, plagten ihn quälende Kopfschmerzen, wie er sie sonst nur von einer durchzechten Nacht kannte. Er lag im Gästezimmer seines früheren Bundeswehrkameraden Franz Ferdinand, der sich nach seinem Wehrdienst in die Firmenzentrale einer in Frankfurt ansässigen Großbank beworben hatte. Mehrere Jahre war er von einer Abteilung zur nächsten weitergereicht geworden, bis die Entscheidung, im Privatkundenbereich dreitausend Arbeitsplätze zu streichen, ihn den seinen gekostet hatte. Daraufhin zog er aus dem überteuerten Frankfurt in ein kleines Dorf in der Nähe von Aschaffenburg, erwarb einen heruntergekommenen Bauernhof und lebte nun mehr schlecht als recht als Selbstversorger mit ein paar Tieren abseits der Zivilisation.
Obwohl sie sich nur selten sahen, war die Freundschaft der beiden Männer in den vergangenen Jahren nicht abgerissen. Im Gegenteil, sie hatte sich im Lauf der Zeit sogar noch vertieft. Jeder beneidete den anderen um dessen Lebensstil, auch wenn letztendlich keiner hätte tauschen mögen. So hatte sich Franz gefreut, als Ludwig am Sonntagmorgen anrief und fragte, ob er nicht für ein paar Tage bei ihm unterkommen könne.
Gegen zehn Uhr stand Kork endlich auf, loggte sich mit seinem Laptop ins Internet ein und überflog die Online-Versionen der Artikel der Nürnberger Tageszeitungen. Da die Berichte über den Mordfall nur äußerst spärliche Fakten enthielten, reimte er sich zusammen, dass die Polizei nach wie vor im Dunkeln tappte. Er holte sich das Telefon in die warme Küche und wählte die Nummer seines Chefs. Er musste sich zumindest krankmelden, wenn er diese und die folgende Woche schon nicht arbeitete. Aber Herr Regener war nicht am Platz. An seiner Stelle nahm Susanne, Redaktionssekretärin und Mädchen für alles, das Gespräch entgegen. Schnell änderte Ludwig seine Strategie, meldete sich mit krächzender Stimme und brach sofort in einen gekünstelten Hustenanfall aus.
Doch statt wie erhofft Mitleid zu bekunden, unterbrach die Sekretärin aufgebracht sein Keuchen: »Um Gottes willen, Lu! Was hast du angestellt? Die Kripo war bei uns in der Redaktion. Nach dir wird gefahndet!«
»Was?« Kork war so entsetzt, dass er völlig vergaß, seine Stimme heiser klingen zu lassen.
»Wenn ich es dir doch sage! Die Beamten haben Herrn Regener lange befragt. Er hat versucht, ihnen auf den Zahn zu fühlen, aber sie haben nicht einmal eine Andeutung gemacht, worum es geht. Es klang sehr ernst, und wir sollen sie sofort informieren, wenn du dich meldest. Nach dem Gespräch war der Chef stocksauer und hat wie wild getobt.«
Kork schluckte hörbar.
»Ich erzähle erst mal niemandem von deinem Anruf.«
»Danke«, stammelte er.
»Aber du musst zur Polizei gehen und alles aufklären. Hörst du?!«
»Ja.« Zu mehr war er nicht mehr in der Lage.
»Ich muss jetzt Schluss machen. Der Chef kommt gerade zurück.«
Schweißgebadet legte Kork den Hörer auf die Gabel des altmodischen Telefons, nur um ihn wenige Sekunden später wieder hochzureißen und Sabines Nummer zu wählen. Doch als er ihre erwartungsvoll klingende Stimme hörte, rutschte ihm das Herz in die Hose. Entmutigt legte er auf, ohne etwas gesagt zu haben.
Um einen klaren Kopf zu bekommen, beschloss er, eine kleine Wanderung zu unternehmen. Von Franz lieh er sich einen Rucksack, packte eine Flasche Mineralwasser, zwei
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