Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
pummelige Frau, deren fast kreisrundes Gesicht von blonden Locken umrahmt wurde. Sie sah mitgenommen aus.
»Ich kann kaum noch schlafen, seit ich von Annikas Tod erfahren habe«, gestand sie im Aufzug. »Es ist so schrecklich.«
»Ja, das ist es wirklich. Umso mehr möchte ich Ihnen danken, dass Sie heute so kurzfristig Zeit gefunden haben, zu uns ins Präsidium zu kommen.«
»Das ist doch selbstverständlich.« Sie schien verlegen. »Ich habe mir sowieso diese Woche freigenommen. Mit mir ist einfach nichts anzufangen. Ich fühle mich so schuldig, verstehen Sie?« Nervös zupfte sie an einem eingerissenen Nagelhäutchen. »Mir kommt alles so unwirklich vor. Am Freitag waren Annika und ich noch beim Steakessen, und jetzt ist sie tot. Ständig warte ich darauf, dass sie anruft oder einfach zur Tür hereinkommt.«
Hackenholt kannte das Phänomen zur Genüge. Jeder Mensch, egal ob er eines gewaltsamen oder natürlichen Todes starb, riss eine Lücke in das Leben der Menschen, die ihm nahestanden. Kam ein junger Mensch zu Tode, verstärkte sich dieses Gefühl des Verlusts um ein Vielfaches. Da Judith Eschbach auf ihn einen sehr sensiblen Eindruck machte, nahm er sich vor, bei der Befragung besonders behutsam mit ihr umzugehen.
Trotz ihrer Trauer stand sie dem Opfer nicht kritiklos gegenüber, wie Hackenholt schnell feststellte. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und erzählte mit überraschender Offenheit, was sie über Annika Dorn dachte. Die Freundschaft der beiden Frauen reichte bis in deren Schulzeit in Erlangen zurück. Natürlich war auch Judith Eschbach die Veränderung ihrer Freundin aufgefallen, nachdem sie ihre Eltern verloren hatte.
Hackenholt ließ sie erzählen, ohne zu unterbrechen. Sie war die Erste, die ihm ein umfassendes Bild von Annika Dorn vermitteln konnte. Mit Zwischenfragen hätte er sie am Ende nur aus dem Konzept gebracht.
»Zuerst dachte ich, sie wäre so anders, weil ihr klar geworden war, wie kurz das Leben sein kann. Aber ich war ehrlich schockiert, als sie sich von Timo trennen wollte. Die beiden gaben so ein wundervolles Paar ab. Ich war immer der Meinung gewesen, er sei der ideale Mann für sie. Mit der Trennung wurde alles anders. Plötzlich legte Annika Wert auf Schmuck und teure Markenkleidung. Früher hatte sie immer aus Versandhauskatalogen bestellt, jetzt ging sie in Boutiquen oder ließ sich ihre Kostüme maßschneidern. Um sich das alles leisten zu können, verkaufte sie das Haus ihrer Eltern. Von einem Teil des Geldes erstand sie dann den Sportwagen.« Judith Eschbach hielt inne.
Hackenholt sah ihrem entrückten Gesichtsausdruck an, wie weit ihre Gedanken sie fortgetragen hatten. Er nahm eine Fotografie von seinem Schreibtisch. Das Bild zeigte den Ausschnitt der Kette, der auf dem Video der Überwachungskamera zu sehen gewesen war. Durch die starke Vergrößerung war das Bild sehr verschwommen.
»Kennen Sie diese Halskette?« Mit seiner Frage holte er Judith Eschbach wieder in die Realität zurück.
Sie nickte. »Die hat sie letzten Herbst von ihrem Liebhaber geschenkt bekommen. Sie war sehr stolz darauf, da es ein sündhaft teures Stück war, wie sie immer wieder betonte.« Mehr konnte die junge Frau dazu jedoch nicht sagen. Weder wusste sie, welcher Juwelier den Schmuck angefertigt hatte, noch wie der Mann hieß, der ihrer Freundin die Kette geschenkt hatte.
»Wie kam es, dass Sie nie über diese Bekanntschaft sprachen?«
»Es gab immer Themen, die wir ausgrenzten, weil wir zu unterschiedlicher Meinung waren und die Gespräche darüber zwangsläufig in hässlichen Streitereien endeten. Eins dieser Themen war Annikas Umgang mit Männern. Wenn wir darüber redeten, war es immer oberflächlich. Manchmal hatte ich den Verdacht, ihre Bekanntschaften wären alle verheiratet und Annika hätte nur Interesse an ihren Geschenken.«
»Es waren mehrere?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Manchmal klang es, als würde es sich immer um denselben handeln, dann wieder dachte ich, es müssten mindestens zwei oder drei sein.«
»Hat Ihnen Ihre Freundin erzählt, dass sie schwanger war?«, fragte Hackenholt rundheraus.
Judith Eschbach sah ihn ungläubig an. »Annika soll schwanger gewesen sein? Das ist unmöglich! Sie wollte keine Kinder. Wie ich schon sagte, mit der Trennung von Timo hatte sie sich bewusst gegen eine eigene Familie entschieden. Sie behauptete, sie würde nur noch etwas fürs Bett suchen, alles andere könne ihr gestohlen bleiben. Ihre Ungebundenheit wäre ihr wichtig,
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