Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
einer Sekunde, dann drückte er die grüne Sprechtaste des Telefons. Wohlweislich meldete er sich nur mit: »Ja, hallo?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Moment lang verschrecktes Schweigen. »Wer spricht denn da?«, fragte dann schüchtern eine Frauenstimme.
»Sind Sie das, Frau Morlock?«, entgegnete Hackenholt, der sich bereits sicher war, ihre Stimme erkannt zu haben. »Hier ist Frank Hackenholt von der Kripo Nürnberg.«
Die junge Frau schwieg so lange, dass er sich schon fragte, ob die Verbindung unterbrochen worden war. Schließlich seufzte sie: »Was ist denn nun schon wieder los? Ist Lu bei Ihnen im Präsidium?«
Im Hintergrund konnte Hackenholt eine Lautsprecherdurchsage mit Anschlussmöglichkeiten hören, dann das Quietschen eines Zuges.
»Frau Morlock, wo sind Sie gerade? Ich verstehe Sie so schlecht.«
»Am Bahnhof. Lu hat versprochen, mich abzuholen. Ich warte hier schon über eine Viertelstunde lang und wollte ihn fragen, ob er mich vergessen hat oder aufgehalten wurde. Aber wenn er bei Ihnen ist, muss ich wohl allein nach Hause gehen.«
»Nein«, entgegnete Hackenholt rasch. »Wir machen das anders. Ich komme zu Ihnen. Bleiben Sie im Bahnhof. Warten Sie bei den Fahrkartenautomaten neben dem Reisezentrum. In zehn Minuten bin ich da.«
»Warum wollen Sie mich denn abholen?«, fragte Sabine Morlock verdutzt.
»Ich muss mit Ihnen reden. Warten Sie auf mich, ja?« Rasch beendete er das Gespräch und nahm ihr damit die Möglichkeit, noch weitere Fragen zu stellen. Dann zerrte er seine Jacke vom Haken und eilte aus dem Büro.
Da sich der Verkehr zwischen Plärrer und Bahnhof so gut wie immer staute, fuhr Hackenholt durchs Jakobsviertel und bog erst am Sterntor auf den Innenstadtring ein. Am Bahnhof parkte er auf dem großen Taxistellplatz zwischen Mittel- und Osthalle mitten auf dem Rettungsweg. Sobald er ausgestiegen war, kam auch schon ein untersetzter Fahrer mit einer Zigarette in der Hand und verkniffenem Gesichtsausdruck auf ihn zu.
»Des gehd fei ned, Sie könna dou ned bargn«, schimpfte er.
Verärgert hielt ihm Hackenholt seinen Dienstausweis unter die Nase, erklärte, er könne das sehr wohl, und machte sich dann auf den Weg zu Korks Freundin. Vor dem Eingang zur Mittelhalle lungerten ein paar Punks herum. Seit die Stadt es nicht mehr duldete, dass die jungen Leute vor dem KOMM genau gegenüber dem Handwerkerhof herumhingen, da der Anblick den kaufwütigen Touristen nicht zugemutet werden sollte, traf man sie abwechselnd vor der Lorenzkirche, am Hauptmarkt oder auch direkt vor dem Bahnhof an, immer auf der Flucht vor der Obrigkeit, die sie mit Sicherheit ein weiteres Mal vertreiben würde.
Sabine Morlock stand in Jeans und mit wattierter Jacke neben den Fahrkartenautomaten. Als sie den Kripobeamten wiedererkannte, schulterte sie ihren Trekkingrucksack und lief ihm entgegen.
»Kommen Sie, ich parke gleich da vorne«, sagte Hackenholt, während er ihr das voluminöse Gepäck abnahm.
Schweigend erreichten sie seinen Wagen. Erst als Sabine Morlock auf den Beifahrersitz gerutscht war, begann sie endlich Fragen zu stellen.
»Was ist passiert? Sie holen mich doch nicht einfach so vom Bahnhof ab. Haben Sie Lu verhaftet?«
»Lassen Sie uns erst mal in Ihre Wohnung fahren«, bat Hackenholt. »Das Auto ist kein guter Ort zum Reden.«
Widerstrebend gab die junge Frau nach. Vielleicht lag es an seinem ernsten Tonfall, jedenfalls saß sie fortan zusammengekauert in ihrem Sitz und biss nervös an ihren Fingernägeln herum. Von gelegentlichen Anweisungen, wie er am besten fahren solle, abgesehen, hüllte sie sich in Schweigen. Hackenholt war das absolut recht. So konnte er sich wenigstens ungestört auf den Verkehr konzentrieren und im Kopf nochmals durchgehen, was er von ihr wissen musste.
Beim Aussteigen rannte sie beinahe einen Fahrradfahrer um, der auf dem Gehsteig fuhr. Ohne sich zu entschuldigen, lief sie weiter, drückte die Haustür auf und stieg Hackenholt voraus die Treppe hinauf. In der Wohnung setzte sie sich sofort auf das Sofa und sah Hackenholt auffordernd an. Er stellte den Rucksack ab und nahm ihr gegenüber langsam auf einem Stuhl Platz. Dann überbrachte er der jungen Frau die schreckliche Todesnachricht. Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da liefen ihr schon die Tränen über die Wangen.
»Gibt es jemanden, den ich für Sie anrufen kann?«, fragte er. »Eine Freundin? Oder einen Seelsorger? Sie sollten jetzt nicht alleine sein.«
Sabine Morlock schwieg.
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