Hackenholt 06 - Reichskleinodien
stets gnadenlos ausgesetzt. Nachdem Sascha Förster seine schützende Hand nun nicht mehr länger über sie halten konnte, beschwatzte Sabine Förster ihren alten Vater so lange, bis er ihr fristlos kündigte.
Nach dieser Erklärung schaffte es Wünnenberg nicht länger, sich zurückzuhalten, und fragte Giulietta, warum um alles in der Welt sie gestern ihrer Chefin die Kurznachrichten von Sascha Förster gezeigt habe. Und noch viel schlimmer: die Videos. Ihr musste doch klar gewesen sein, dass dies den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben werde.
Sofort begann Giulietta von Neuem zu weinen. Weitere Minuten verstrichen, bis sie den Beamten ihre Version des Vorfalls schilderte: Sie hatte ihrer Chefin die Fotos überhaupt nicht gezeigt. Frau Förster schnappte sich das Handy, während Giulietta auf Toilette war. Bei ihrer Rückkehr saß die verhasste Kontrahentin mit hochrotem Kopf an ihrem Schreibtisch und las die Kurznachrichten. Zwar gelang es Giulietta, ihr das Handy zu entreißen, der Schaden war zu dem Zeitpunkt jedoch bereits angerichtet.
Giulietta versuchte zunächst, Schadenbegrenzung zu betreiben, indem sie vorgab, sich zum ersten Mal mit Sascha verabredet zu haben – doch das quittierte Sabine Förster mit einer Ohrfeige. Sie war im Bilde, weil sie in den vergangenen Wochen regelmäßig Saschas Handy kontrolliert und die Nachrichten zwischen ihnen gelesen hatte. Allerdings speicherte ihr Mann im Gegensatz zu Giulietta keine Videos auf seinem Mobiltelefon.
Hackenholt ließ sich seine Überraschung über diese völlig andere Schilderung der Geschehnisse nicht anmerken. Immerhin klang sie plausibel – es war die Antwort auf die Frage, die die beiden Ermittler bereits im Auto diskutiert hatten: Was trieb Giulietta, ihrer Chefin die SMS und Sexvideos zu zeigen?
»Mal ganz was anderes«, sagte Wünnenberg plötzlich und deutete auf mehrere großformatige Fotografien an der Wand. »Sind die echt, oder haben Sie die in einem Bildbearbeitungsprogramm nachbearbeitet, damit die so toll aussehen?«
Hackenholt grinste in sich hinein. Manchmal konnte sein Kollege sehr subtile Fragen stellen. Giulietta Veccio bemerkte sicher nicht, dass sie gerade über ihre Computerkenntnisse ausgehorcht wurde.
»Schön wär’s«, lachte die junge Frau. »Computer sind ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Ich bin froh, wenn ich mit der Textverarbeitung zurechtkomme. Das Speditionsprogramm hat mir einige schlaflose Nächte bereitet. Frau Förster musste sich viele Stunden zu mir an den Rechner setzen, bis ich die Grundbegriffe gelernt habe.« Verschwörerisch beugte sie sich zu Wünnenberg vor. »Die Fotografien stammten aus einer Onlinegalerie. Ich habe sie sozusagen geklaut.« Dabei kicherte sie verschämt und schenkte dem Ermittler einen langen Blick aus ihren großen Augen.
Die Bemerkung, Sabine Förster habe sich zu Giulietta an den PC gesetzt, bot Hackenholt die Steilvorlage für seine nächste Frage. »Wie ist das bei Ihnen in der Firma: Arbeitet jeder an seinem eigenen Rechner, oder werden Sie manchmal von Ihrem vertrieben?«
»Frau Förster schnappt sich immer wieder mal meinen Arbeitsplatz, ihr eigenes Terminal hat total oft Probleme mit dem WLAN .«
Als Hackenholt sie mit der Tatsache konfrontierte, dass Spezialisten von der Polizei auf ihrem Computer nicht nur eine gelöschte Datei wiederhergestellt hatten, die den gefälschten Versicherungsschein enthielt, sondern auch das Programm, das dazu benutzt worden war, reagierte Giulietta Veccio zunächst äußerst schockiert.
Stockend vertraute sie den Beamten an, sie habe vor einigen Wochen zwar ein neues Programm auf ihrem Desktop gesehen, aber nachdem Frau Förster ihr sagte, sie solle sich nicht darum kümmern, beschäftigte sie sich auch nicht weiter damit. Mit zitternder Stimme fragte sie die Beamten schließlich, ob die Löschung am Donnerstagvormittag passiert sei, denn da habe Frau Förster sie von ihrem Arbeitsplatz verscheucht, und anschließend sei das neue Programm verschwunden gewesen.
»Lassen Sie uns noch einmal auf das zurückkommen, was Sie uns bei Ihrer ersten Vernehmung gesagt haben.«
»Ja?«
»Sie haben angegeben, dass weder Herr Dippold noch Herr Förster im Vorfeld von dem Transport wussten.«
»Genau so war es.« Noch einmal wiederholte die junge Frau, sie sei am Mittwochnachmittag persönlich dabei gewesen, als Frau Förster ihrem Mann und ihrem Vater erklärte, sie habe für den nächsten Tag einen sehr speziellen Auftrag akquiriert.
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