Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
wohin unsere Nase zeigt. Deshalb beschreibe ich alles genau so, wie es sich zugetragen hat, und werde nicht unnötig Salz und Pfeffer in die Suppe streuen. Dem Leser sage ich ganz offen, daß sich nach Halef nun auch auf meinem Gesichte Frage- und Ausrufezeichen ausprägten, als nämlich das Fräulein Alma auf uns zugeschritten kam, auf Winnetou und mich.
Wie sehr werde ich ja gelobt und wieder getadelt für meine so genauen und dann wieder in keiner Weise genügenden Beschreibungen, doch wie wenig war ich seinerzeit und bin ich noch heute in der Lage, dem Leser wenigstens eine annähernd zuverlässige Beschreibung von dem Fräulein Alma zu geben. Welchen Goldton etwa ihre schulterlang getragenen Locken aufwiesen, um wie vieles sie größer war als Halef, wie der derbe, aber praktische Männeranzug, den sie trug, verfertigt war und aus welchem Stoffe und welcher Farbe dieser bestand, ob unter seinem Saume nun Stiefelabsätze hervorlugten oder die Sohlen älpischer Berg- oder holländischer Holzschuhe, altväterlicher Galoschen oder löchrig gelaufener Wanderersohlen, man frage mich bitte nicht nach solchen Unwichtigkeiten; ich weiß es nicht, ich habe nicht darauf
geschaut, ich kann mich nicht erinnern und also nichts darüber sagen.
Was meine Gefühle, meine Gedanken so sehr bewegte?
Nun, Old Shatterhand sagt dazu nichts, und auch Kara Ben Nemsi schweigt.
Was ich allein über jenes Donnerrühren zu berichten vermag, welches mich in jenem Augenblick getroffen hatte, ist etwas zutiefst Menschliches, etwas, was ich einem jeden Gemüt von Herzen wünsche. Noch war ja zwischen uns oder vielmehr zwischen mir und dem Fräulein kein einziges Wort gefallen; es war mir noch nicht möglich geworden, auch nur die einfachsten Gesten der Kavaliere, Gentlemen, Chevaliers oder Caballeros zur Anwendung zu bringen; in der Wildnis galt alles Gezierte nichts. Gleichwohl gelang mir ein, wie ich dachte, aufmunterndes Nicken, was mir einen interessierten Blick Almas bescherte, welcher, wie so vieles an ihr, mich allerdings in Verzückung versetzte – mich in meinem Leder und in meiner Wolle, mit all meinen Fransen und Tierborsten und meinen Revolvern im Gürtel, meinem Lasso über der Brust und dem achtbar gefalteten Hut auf dem Kopfe.
Wie verzaubert und also wie im Traume mag ich auf dem Felsengrunde gestanden haben, aber an eines erinnere ich mich genau: Bei Alma blickte ich in ein so freimütiges Gesicht, daß sich mir darin sogleich ein anderes zu spiegeln schien. An Nscho-tschi mußte ich denken, an den »Schönen Tag« – wie grausam war dereinst Winnetous liebliche Schwester aus ihrem jungen Leben gerissen worden. Hier blickten er und ich in ein ganz ähnliches, wenn auch weißes Gesicht, geschwärzt noch vom Pulverdampf des Scharmützels, und auch zu einer ganz anderen Zeit und an einem ganz anderen Ort. Dennoch hätte ich schwören können – – –
Ich schweife ab. Es fällt mir leichter, von Kämpfen um Leben und Tod zu berichten, von Verrat und Mordlust, Habsucht und Neid, als die Schemen einstmals gehegter Gedanken noch einmal zu erhaschen und aufs Papier zu zwingen, gerade wenn es um Menschen geht, für die ich einmal tief empfunden habe. Damals stand
sie zum ersten Male vor mir, Alma, das Mädchen aus Deutschland, aus Sachsen wie ich. Begeistert war von ihr in Cheyenne die Rede gewesen, dort hatte sie sich – Kismet, Fügung! – mit Halef zusammengefunden, und mit ihm war sie bis hierher, an den Rand des Yellowstone-Gebietes vorgedrungen, wo sie sich soeben mit Bravour ihrer Feinde erwehrt hatte! Wie leicht hätte sie dabei umkommen können, wie leicht hätte sie das Schicksal ereilen können, welches Nscho-tschi betroffen hatte, und wie schauderhaft war der Gedanke, daß diese Gefahr wiederum von einem Weißen erzeugt worden war – was anderes sollte ich denken, als daß Milton Hayes es war, der hinter dem Angriff steckte? Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er während der Verfolgung eine Gelegenheit gewittert, den Ritt der beiden zu dem Militärfort abzukürzen, durch einen Überfall auf offener Strecke Halef von den Schoschonen töten zu lassen und dabei Alma als wohlfeile Beute an sich zu reißen. Oder wollte er gar, Gipfel der Verworfenheit, sich ihr als Retter in höchster Not präsentieren? Das würde erklärt haben, weshalb kein einziger der Pfeile und keine einzige der Kugeln, die doch reichlich verschossen worden waren, getroffen hatte.
Daß ich, um von Alma auch nur eine oberflächliche
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