Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Expedition überfallen worden, so daß wohl auch hier kein Blut geflossen war. Ein weiterer Trupp in etwa gleicher Stärke hatte sich ebenfalls geteilt. Die eine Hälfte, angeführt von Donnerwolke, war direkt der Spur von Halef und Alma gefolgt; sie hatte ich als erstes unter Feuer genommen. Die andere Hälfte hatte indes versucht, die beiden zu umgehen, um sie von den Felsen her unter Feuer zu nehmen. Auch das hatten wir vereitelt.
Die Überraschung in Vogels Bericht war jedoch eine andere.
Bei dem Anführer des genannten Trupps solle es sich um einen Weißen handeln, was ich zunächst kaum glauben konnte – rote Krieger unter dem Kommando eines Weißen? Selbst wenn dieser sich in dem Gefecht zurückgehalten hatte, denn wir hatten keinen Weißen gesehen, war so etwas ungewöhnlich. Wann hätten sich je Prärieindianer unter die Führung eines Bleichgesichts gestellt?
»Unser junger roter Bruder hat sich also im Schleichen geübt«, sagte ich. »Vieles hat er in Erfahrung gebracht, aber weiß er auch, wer jenes Bleichgesicht ist, das den Schlangen gebietet?«
Es war seltsam zu sehen, wie Vogel auf diese Frage reagierte, denn er schwieg zunächst und betrachtete mich lange. An dem wenigen Mondlicht, das mein Gesicht nur beschien, mochte es liegen, daß er mich gar so durchdringend ansah. Dann aber wurde deutlich, weshalb er so verunsichert gewesen war, frei auf uns zuzukommen und unser Lager und insbesondere mich stattdessen so umständlich zu beschleichen. Der Indianerjunge wich zurück, als er sagte:
»Vogel kennt den weißen Mann nicht, welchem die Schlangen den Namen Ma-ta-weh gegeben haben. Aber er hat ihn beobachtet und sprechen hören und sich sehr gewundert. Wenn Old Shatterhand bei Tage auf das Wasser des Sees sieht, wird er nicht weniger verwundert sein, denn er wird darin Ma-ta-weh erblicken!«
Vogel ritt nicht mit uns. Trotz seiner Jugend sah er sich bereits als Kundschafter, als Einzelgänger, der sich seinen Weg allein bahnen mußte. Uns blieb nur, ihn zur Vorsicht zu ermahnen, und er versprach, jeden Leichtsinn zu vermeiden.
Noch vor Morgengrauen weckte ich die Gefährten. Ohne von dem nächtlichen Besucher zu erzählen, eröffnete ich ihnen, daß wir nun endgültig unseren Weg ändern und das Fort nicht aufsuchen würden. Es läßt sich denken, daß Alma und Everts darüber nicht erfreut waren; das Mädchen, weil es insgeheim immer noch dachte, dort womöglich den Vater anzutreffen, und der Alte, weil er sich einige Tage der Ruhe erhofft hatte. Er sah leidend aus, schlimmer als je zuvor. Doch wir konnten ihm und auch Alma die eilige Weiterreise nicht ersparen. Vorrang hatte die Rettung der Washburn-Männer und damit der Expedition, was nichts anderes bedeutete, als daß wir ihnen zu Hilfe eilen mußten. Wenigstens freute sich Everts, als er nach der Brille nun auch noch eines der Maultiere bekam.
So verließen wir den Green River, kaum daß wir auch nur eines seiner Überflußbecken erreicht hatten, und wandten uns dem bisher gefährlichsten Teil unserer Reise zu, indem wir, unter vielfältigen Vorkehrungen, nach der Lagerstätte der Schoschonen strebten, dem Ocean Lake zu.
Zwei weitere Tage vergingen ohne nennenswerte Ereignisse. Wir hatten das Glück, einen vergleichsweise unkomplizierten Weg zu finden, so daß wir zügig vorankamen. Es hatte sich eingespielt, daß Winnetou uns zumeist vorausritt oder als Nachhut unsere Fährte verwischte.
Sosehr Hirtreiter und vor allem Halef es gefallen hätte, sich jeweils an meiner Seite zu halten, so willig schickten sie sich in meine Anweisung, dies zu unterlassen. Wir durften keine unnötigen Spuren erzeugen, wie es sich beim Nebeneinanderreiten kaum vermeiden ließ.
Von Everts, dem kranken Steuereintreiber, hörte ich kaum ein Wort, auch Fräulein Alma hielt sich zurück. Erst gegen Mittag des dritten Tages, als wir an einer besonders ruhig fließenden Stelle des ohnehin gemächlichen Big Sandy River anlangten, wurde sie lebendig. Hier erlaubte es der felsige Untergrund, daß sie ihren Appaloosa zu mir heranlenkte.
Ich muß erwähnen, daß sie Pferdeverstand besaß. Sie hatte sich einen nicht zu hohen sogenannten Schabracktiger gewählt. Er war ordentlich bemuskelt und wies eine weiße Decke über Rükken und Hüften sowie schwarze Flecken an den Flanken auf. Das Tier schien mit einem indianischen Mustang eingekreuzt worden zu sein; die Art, wie es tänzelte, wenn seine Herrin ihm begütigend ins Ohr flüsterte, erinnerte mich an die
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