Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
meine, wenn auch nicht ganz so mager. Es vermag kein Präriewind den Apachen umzuwerfen, wie auch mich kein Ghibli davonweht, kein Samum und auch kein Khamsin, denn ein jeder von uns beiden, Winnetou und ich, steht wie ein Baum. Soll ich fortfahren?«
»Ich bitte darum.«
»So achte auf meine Worte, Effendi: Winnetous Gesicht ist überaus stolz und männlich, dabei so hübsch und freundlich wie ebenfalls das meine. In der Mitte prangt, wie bei mir, ein mächtiger schwarzer Schnurrbart. Dieser zuckt und hebt sich, wann immer seinem Träger etwas mißfällt, aber schenkt der Tag Freude und Genugtuung, so dehnt und senkt sich dieser Schnurrbart, gleichfalls wie bei mir. Von Winnetou wird er in höchsten Ehren gehalten; auf das sorgfältigste zwirbelt und kämmt und bürstet er ihn, wie du es auch bei mir schon oft beobachtet hast. Mehr als alles andere lieben wir diese Beschäftigung, Winnetou und ich, sogar mehr noch als ruhmreichen Kampf, weil wir – er und ich – friedliche
Naturen sind. Ja, Winnetou und ich, wir gehen, laufen, sprechen und lachen einer wie der andere. Wie Schlangeneier gleichen wir uns, und beide sind wir Lieblinge Allahs, denn er war es, der uns so prächtig gemacht hat. So, Effendi, dies ist das Bild, das ich dir von Winnetou geben kann. Sieh in mein Gesicht, und du siehst – Winnetou!«
Das saß. Sir Edward konnte nicht anders als schweigen. Ein derart langes Gesicht machte er zu Halefs Beschreibung des großen Häuptlings, daß er nun kaum mehr einem überlegenen Aristokraten glich. Unwillkürlich wanderte sein Fernrohr vom linken zum rechten Auge und wieder zurück, immerzu auf Halef gerichtet. Des öfteren hob und senkte sich das Glas, hob sich abermals, wollte sich schon zurückziehen, blieb aber im Anschlag.
Endlich rief Sir Edward:
»Verehrter kleiner Sir, wollte ich Euren Worten glauben, müßte ich denken – müßte ich denken – well, ich müßte denken, daß Winnetou gerade so aussieht wie Ihr selbst.«
»Dies, Effendi, denke immerhin.«
»Winnetou hat Eure Größe?«
»Unbedingt.«
»Desgleichen Statur, Gesicht und Barttracht? Ferner Haltung, Gang, Gewohnheiten?«
»So ist es.«
»Sein Haar gleicht ganz dem Euren? Seine Hautfarbe, sein Wesen, seine Persönlichkeit?«
»Alles, Effendi, einfach alles. Er und ich, wir sind uns ähnlich wie Zwillingsbrüder. Allah hat es gefallen, den Apachenhäuptling in beinahe demselben Grade so perfekt zu erschaffen wie mich. Darum sind wir beide, Winnetou und ich, so stark wie schön, so treu wie mutig, so berühmt wie beneidet.«
»Winnetou und Ihr?«
»Ja, Effendi. Ich und Winnetou.«
»Aber Sir, das ist – das ist – das ist – – – «
»Ja, Effendi?«
»Ach nichts. Ich dachte – – – «
Patsch! Halef versetzte dem Kamel des Engländers einen solchen Hieb mit der Reitpeitsche, daß es einen Satz nach vorn machte und seinen Reiter beinahe abwarf, ihn auf jeden Fall kräftig durchschüttelte. »Sei gewarnt, Effendi! Höre ich Zweifel aus deinen Worten? Wie kann ich dein Führer durch alle Gefahren sein, dein einziger Freund und gar dein Bruder, der Tröster deines Gemütes und der Retter deiner Seele, wenn du mir nicht glaubst? Sprich eindeutig mit mir, und unterbrich deine Sätze nicht wie ein schlechter Gastgeber das Festmahl – das gehört sich nicht!«
»Well«, versuchte der Engländer sein Tier zu beruhigen und Halef zu beschwichtigen. »Allein an Euren Sihdi mußte ich denken und an seine Erzählungen, die schon ein bißchen auch in meine Heimat vorgedrungen sind. Aus dem wenigen, was ich von ihm kenne, ist mir seine oft wiederkehrende Beschreibung Winnetous im Ohr.«
»Ah!« Halefs Miene hellte sich auf. »Und nun findest du meine Darstellung Winnetous von der meines Sihdi so unterschiedlich wie ein Wadi zur Regenzeit, wenn es vom todbringenden Wasser durchrauscht wird, anstatt, wie im Rest des Jahres, tot und leer dazuliegen. Ist es so?«
» Well, ungefähr.«
»Aber Effendi, das ist doch nur verständlich! Hast du denn nie gehört, daß mein Sihdi leider zu Übertreibungen neigt? Er schätzt Winnetou, gewiß, aber lieben tut er allein mich; darin liegt der ganze Unterschied. Um dem Häuptling eine Freude zu bereiten, hat er ihn in seinen Büchern ein wenig wachsen lassen. Auch hat er ihm Züge angedichtet, die seinem Herzen schmeicheln und ihm die Seele kosen. Mein Sihdi ist ja ein großer Poet. In seiner Gegenwart erblüht jeder Kaktus!«
»Ist das so, verehrter kleiner Sir? Kara Ben Nemsi
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