Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
– – «, sagte ich, und dann sagte ich gar nichts mehr. Ich blickte auf Winnetou, der alles mit angehört hatte: Zwillingsschwestern? Es gab also, neben Alma, geborener Grüner, Goldener Squaw und zukünftiger Gattin des Leutnants von X, auch eine Erna Grüner? Genauso schön, jedoch sanfter und ledig und gefangen bei einem Wüstendespoten?
Sofort stand bei mir fest, daß man dem wehrlosen Geschöpf zu Hilfe eilen mußte! Weil Winnetou ohnehin zurück in die Gebiete der Mescalero-Apachen wollte, würde auch Old Shatterhand sich zurückziehen, dafür aber Kara Ben Nemsi wieder in seine Rechte treten.
Das alles dachte ich, und Winnetou, der mich genau beobachtete,
lächelte, als ich daranging, meine zerschlissene Westmannskleidung gegen Halefs mitgebrachte Garderobe eines Scherifs einzutauschen.
»Hurra«, freute sich Hirtreiter und steckte Halef schnell etwas zu: seine Schnupftabakdose, den hinterlistigen Schmalzler. Er rief: »G’heiratet wird, und z’ammghalten wird, und Kinder wird’s geb’n! Für jeden Prinzen, den mein König Ludwig meinem schönen Bayern schenkt, will ich ein Töchterl sehen, und für jede Prinzessin einen Buben. Auf Wiedersehen, Wilder Westen, du grober ungedeckter Tisch, und leider nicht Salem aleikum, du ungesehenes Morgenland! Master Shatterhand, darf ich einen Wunsch aussprechen? Ich bitte, daß Ihr Euch noch recht viele Male in Gefahr begebt. Berichtet mir und Euren Lesern weiter von fremden Herden, Öfen und Kochstellen. Denn ob man in der Welt siedet oder dämpft, passiert oder sautiert, gratiniert oder pochiert, das interessiert niemand so sehr wie Theobald Hirtreiter, bin i a Bayer, oder bin i a Preiß!« – – – –
Editorische Notiz
Nur einmal noch, ein einziges Mal!
Ach, wenn ER nur noch ein einziges Mal zu uns sprechen, für uns schreiben, so munter drauflosfabulieren könnte wie einst, wenn ER nur noch ein einziges Mal anhöbe mit seinem unwiderstehlichen Erzähler-ICH und uns einen neuen großen Roman schenkte, uns jene verwaist liegenden Räume unserer Jugend eröffnete, uns krisengeschüttelten Twenty-first-century- Menschen nochmals die Welt erklärte, und wenn dies so lang vermißte ICH uns nur noch einmal die Illusion von gottstrafender Gerechtigkeit am Ende eines Hunderte Seiten starken Buches schenken wollte, nach Herzenslust schwadronierend, scherzend, kämpfend, reitend und rettend, wenn – wenn – ist es denkbar, ist es möglich?
Der Ruhm Karl Mays war ein später.
Bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr – ein hohes Mannesalter im 19. Jahrhundert – mußte der »Schwärmer« und »Träumer«, der »Hochstapler« und »Zuchthäusler«, wie er noch heute oftmals geschmäht wird, sich gedulden, ehe ihm, 1892, mit dem Wüsten-Zyklus (1. Band: Durch Wüste und Harem ) sowie mit der im Jahr darauf folgenden Winnetou-Trilogie jener kommerzielle Schub vergönnt war, den wir modernen Menschen als Durchbruch bezeichnen würden. May war nicht mehr arm, er war unabhängig; er wurde wohlhabend, wurde reich, er fand Anerkennung. Endlich.
Dabei ritten und kämpften die Figuren des Webersohns Karl Friedrich May beileibe nicht erst in dessen legendär gewordenen,
zunächst 33 Bände umfassenden »Gesammelten Reiseerzählungen«. Im fast drei Jahrzehnte währenden, unsteten Erwachsenenleben ihres Schöpfers bereiteten sie sich gleichermaßen auf höhere Weihen vor.
Winnetou zum Beispiel.
In den Urtexten ficht er in den »finsteren und blutigen Gründen« noch als »Inn-nu-woh«, als arg radebrechender und durchaus auf Kopfhäute versessener »Roter Gentleman« (s. die Erzählung Die Both Shatters von 1881). Der spätere Edelmensch begann seine Laufbahn als grobgeschnitzter Prototyp.
Oder der nicht unproblematische Kunstgriff Mays, als Erzähler das eitle Ich zu gebrauchen, was ihm noch viel Ärger (und noch mehr Bewunderung) eintragen sollte; da erprobte sich der bald plot- und pointensichere Schriftsteller in unterschiedlichsten Stilen, Umfängen und Verpuppungen. Lange dauerte es, ehe ein und derselbe Mann zu seiner endgültigen Form fand – und aus den Riesenschatten Kara Ben Nemsis und Old Shatterhands heraustrat.
Und der Bürger Karl May? Das so lange strauchelnde Subjekt, der sein Lebtag ringende Künstler, dieser Könner, der seine Leser nicht aus dem Serail entführte, sondern geradewegs in dasselbe hinein?
Im wirklichen und in seinem noch viel wirklicheren Leben, in der Phantasie, da tarnte und täuschte und spielte und verkleidete sich der
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