Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
wäre, wenn mein eigenes Herz plötzlich streiken
würde? Sollte ich hoffen, dass auch bei mir der Gottvater aller
Herzspezialisten daneben stand, wenn ich umfiel? Dass er mich mit einem
Faustschlag auf die nackte Brust rettete?
    Oder lieber nicht?
    Wäre ein Herzstillstand nicht der schönste Ausweg aus der
Scheiße, in der ich schon mein ganzes Leben lang steckte?

    Eine andere Putzfrau riss mich aus meinen düsteren Gedanken.
Sie schnappte sich Jannas Wagen und setzte die Reinigung im Rekordtempo von
zwei Minuten pro Zimmer fort.
    Erleichtert über die Ablenkung wartete ich jedes Mal ungeduldig
auf den Moment, in dem sie aus den Zimmern kam, um sie unter die Lupe zu
nehmen. Sie war älter als Janna, vielleicht vierzig, rundlich und ebenfalls
geschminkt. Der dunkle Lippenstift passte zur unechten Farbe ihrer kurzen Haare
und ihrer Fingernägel. Unter ihrer Schürze trug sie Latschen mit erhöhtem
Absatz. Das platte Gesicht mit den breiten Wangenknochen ließ mich auf eine
osteuropäische Herkunft tippen. Jedes Mal, wenn sie den schweren Wagen anschob,
knickte sie auf den wackligen, kleinen Absätzen ihrer Schlappen um.
    Kurz vor eins war sie mir schon ziemlich nahe gekommen,
als ein Telefon klingelte. Sie holte einen schnurlosen Apparat aus der Tasche
ihrer Schürze, sah kurz auf das Display und schaltete das Gerät aus, ohne
abgenommen zu haben.
    Ich dachte darüber nach, mich nach dem Zustand ihrer
Kollegin zu erkundigen, als Gundel aus dem Schwesternzimmer trat. Die kleine
Frau richtete sich auf, bevor sie mit entschlossenen Schritten den Flur
hinunterkam.
    Â»Gott hat angerufen, Svetlana«, informierte die Krankenschwester
die Putzfrau.
    Gespannt sah ich auf.
    Gundel streifte mich mit einem kurzen Blick.
    Svetlana ließ den Stapel Handtücher zurück auf den Wagen
sinken.
    Â»Janna hat es nicht geschafft.« Gundel strich der Putzfrau
sacht über den Arm.
    Janna war tot.
    Die Wucht, mit der mich diese Nachricht traf, überraschte
mich. Sekundenlang saß ich wie gelähmt und konnte nicht aufhören, Gundel
anzustarren. Dabei hatte ich Janna gar nicht gekannt.
    Trotzdem fühlte ich mich seltsam schuldig. Vorhin hatte ich
noch mit dem Gedanken gespielt, an ihrer Stelle zu sein – jetzt war sie tot.

    Hätte ich etwas daran ändern können, wenn ich sie früher
angesprochen hätte? Wenn ich herausgefunden hätte, in welchen Problemen sie
steckte? Woher die Verletzung an ihrem Unterarm stammte?
    Wenn ich ehrlich war, war ich erleichtert, nicht an Jannas
Stelle zu sein.
    Tatsächlich. Egal, wie beschissen mein Leben war.
    Ich wollte noch einen Anfang. Meinen eigenen Anfang.
    Heißer Hass schäumte in mir hoch und schnürte mir die
Kehle zu. Musste Janna erst sterben, damit ich das begriff? Ich fühlte mich,
als hätte ich Janna umgebracht, um auf ihre Kosten weiterzuleben.
    Dann lenkte mich Svetlana ab. Auch ihre Augen glänzten.
Ob sie wirklich traurig war? Oder war es in ihrer Heimat einfach Sitte, bei
Todesnachrichten zu weinen?
    Svetlana nahm Jannas Arbeitswagen und schob ihn zum
Treppenhaus, ohne die letzten Zimmer der Station gereinigt zu haben.
    Ich dachte an den Bluterguss an Jannas Handgelenk. Jetzt
konnte ich sie nicht mehr fragen, wie er entstanden war.
    Jetzt musste ich mich meinen eigenen Problemen stellen.

    Â 

8.
    Â»Ihre Werte sind stabil, Frau Ziegler. Sie können Montag nach
Hause, ich denke«, informierte mich die russische Ärztin am nächsten Tag, ohne
von ihrer Akte aufzusehen.
    Oma Busch seufzte, zweifellos erleichtert über diese
Nachricht.
    Diesmal war ich vorbereitet. Ich zwang mich, das panische
Herzrasen zu ignorieren. Heute war Freitag und aus irgendwelchen Gründen, die
höchstwahrscheinlich mit der Bettenbelegung am Wochenende zu tun hatten, ließ
man mich noch zwei Tage bleiben.
    Â»Hier haben Sie Informationen über Selbsthilfegruppen.«
Sebastian, der Pflege-Azubi, legte einen dünnen Stapel Broschüren auf meinen
Nachttisch. Seine Gesichtsfarbe verriet mir, dass es ihm unangenehm war, mich
auf die Existenz der Anonymen Alkoholiker hinzuweisen. Er beeilte sich, der
Ärztin den Aktenwagen hinterherzuschieben.
    Ich starrte noch auf die Tür, als sie schon lange zugefallen
war. Meine Hände zitterten wieder.
    Wo sollte ich hin?
    Ich wollte irgendwie weiterleben, aber ich hatte keine Ahnung,
wie ich das anstellen sollte.
    Svetlana, die Vertretungsputzfrau mit den

Weitere Kostenlose Bücher