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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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gegen halb sechs der Rettungshubschrauber landete,
schleuderte ich genervt meine Decke zur Seite. Traum oder nicht, ich beschloss,
mir einen Kaffee zu ziehen.
    Im Nachthemd schlich ich hinaus auf den Flur. Unnatürlich
grelles Neonlicht blendete mich und es war beunruhigend still. Ich sah mich
nach rechts und links um. Wenn das wirklich wieder so ein beschissener Albtraum
war, verzichtete ich vielleicht doch lieber auf das Koffein.
    Da entdeckte ich zwischen Weihnachtsbaum und Kaffeeautomat
eine kleine, weiß gekleidete Person. Auch wenn die Station wie ausgestorben
wirkte, war ich nicht allein.
    Ich wandte mich dem Getränkeautomaten zu. Die kleine,
weiße Gestalt hatte mich nicht bemerkt. Sie stand mit dem Rücken zu mir auf
Zehenspitzen und hielt eine Zigarette durch den Spalt des gekippten Fensters
nach draußen.
    Â»Morgen«, brummte ich.
    Schwester Gundel zuckte erschrocken zusammen.
    Interessiert betrachtete ich die Zigarette in ihrer Hand.
    Â»Bin noch nicht im Dienst.« Die schuldbewusste Miene der
Krankenschwester verriet mir, dass das Aus-dem-Fenster-Rauchen nicht nur den
Patienten, sondern auch dem Personal – im Dienst oder nicht – untersagt war.
    Ich winkte ab und ließ zwei Euro in den Kaffeeautomaten
klimpern.
    Schwester Gundel schien eine Sekunde zu überlegen, ob sie
die Zigarette verschwinden lassen sollte, aber da ich sie sowieso schon gesehen
hatte, hielt sie das offenbar für Verschwendung. Stattdessen hielt sie mir die
Packung hin.
    Ich griff zu. Vielleicht half eine Kippe mehr, meine Nerven
zu beruhigen, als das bisschen Koffein in der ohnehin viel zu dünnen, braunen
Brühe.
    Gundel gab mir Feuer und ich stellte mich neben sie, um
meine Hand ebenfalls aus dem Fensterspalt zu halten. Ich konnte auf die kahlen
Stellen zwischen ihren grauen Haarbüscheln hinuntersehen.
    Â»Was ist mit Ihren Haaren passiert?«, fragte ich direkt.
    Sie musterte mich kurz.
    Ihre Augen waren blau, heller als meine.
    Â»Chemo.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Was ist mit Ihrem
Gehirn passiert?«
    Ich grinste. »Ich suche danach.«
    Sie grinste zurück.

    Â 
    Ich lungerte weiter auf dem Flur herum. Mich von
meinem Entzug abzulenken, indem ich das Personal beobachtete, hatte gestern
schließlich wunderbar funktioniert.
    Ich sah zu, wie ein Roboterwagen nach dem anderen das
Frühstück anlieferte, wie zwei Serviererinnen die Frühstückstabletts in die
Zimmer balancierten, wie die Schwestern Medikamente in länglichen
Plastikkästchen verteilten, Patienten in Rollstühlen aus den Zimmern in die
Duschen und aus den Duschen zurück in die Zimmer schoben, mit Blutdruckgeräten
hin und her eilten und die Ergebnisse der Messungen in den Krankenakten notierten.
    Die ausländische Ärztin tauchte auf und blätterte im
Schwesternzimmer in verschiedenen Ordnern und Karteien.
    Ich wartete auf meine Putze. Heute würde ich herausfinden,
wie der rätselhafte blaue Fleck an ihrem Handgelenk entstanden war, beschloss
ich.
    Ein weiterer Arzt erschien.
    Erstaunt sah ich hoch. Die elektrische Tür am anderen
Ende des Gangs schwang auf, als hätte allein seine Aura sie zur Seite springen
lassen. Einer dieser schlecht gelaunten Servierwagen ließ ihm respektvoll den
Vortritt. Sein offener Kittel umwehte ihn, während er mit federnden Schritten
den Flur heruntereilte. Er war groß, hager, ein Rauschebart und eine lange,
graue Mähne wallten ihm über Brust und Schultern und auf seiner großen,
schmalen Nase saß eine halbmondförmige Goldrandbrille. Das alles bildete einen
interessanten Kontrast zu den Jeans, dem Strickpulli und den Turnschuhen, die
er unter seinem offenen Kittel trug. Und auch das unvermeidliche, golden
glänzende Stethoskop fehlte nicht. Er wirkte wie eine Mischung aus Oberzauberer
Albus Dumbledore und dem Weihnachtsmann.
    Und er schien auch in etwa so Ehrfurcht gebietend zu
sein, denn die russische Internistin erstarrte, als er das Schwesternzimmer
betrat. Sekundenlang konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie lieber auf die Knie
fallen oder sich auf seinen Schoß setzen sollte. Schließlich entschied sie sich
für den Kniefall und plapperte vor Schreck auf Russisch los, während sie ihm
unterwürfig eine Akte reichte.
    Der Bärtige tat sein Bestes, um sie zu beruhigen. Er lächelte
über seine Weihnachtsmannbrille hinweg und legte ihr eine Hand auf die
Schulter. Schlagartig verfärbte sich ihr

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