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Hände weg vom Abendschatten!

Hände weg vom Abendschatten!

Titel: Hände weg vom Abendschatten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lene Mayer-Skumanz
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er.
    „Lass sie“, sagte der Junge. „Es zahlt sich nicht aus. Sie ist bissig. Richtig bissig.“
    „Ihr kennt euch alle aus der Schule?“, fragte Markus.
    Der Blonde verzog den Mund. „Ich geh jetzt — in eine andere Schule. Aber mein Vater und der Vater von Michi, die sind... die waren Arbeitskollegen.“ Er schlug Markus auf die Schulter, so plötzlich, dass Markus erschrak. „He, he — fahr zurück zu deiner Tante. Gib gut Acht auf sie! Und den Michi, den vergiss! Der ist ein falscher Hund!“
    Verwirrt radelte Markus den Feldweg zurück. Weit und breit keine Spur von Marie-Theres. Aber die Weingärten und die Straße, die sie teilte, die erkannte er wieder. Er musste nur links abbiegen und später am Haus des Bezirksvorstehers vorbei —
    Heftiges Flügelrauschen ließ ihn nach rechts schauen. Zwei Fasane waren aufgeflattert. Irgendetwas schien sie aufgescheucht zu haben. Zwischen den Weinstöcken blitzte es hell. Pfiff da jemand?
    Markus hielt inne und horchte.
    Dieses Pfeifen hatte er heute schon einmal gehört. Mit diesen Pfeiftönen hatte Marie-Theres ihr Anti-Stress-Programm begleitet.
    Er bog nach rechts ab, überquerte die Straße und blieb am Rand eines Weingartens stehen. Ein paar Schritte weiter drinnen lag ein Fahrrad auf dem lehmigen Boden. Es war das Rad von Marie-Theres. Grell funkelte die Lenkstange in der Sonne.
    Markus begriff. Er verzieh Marie-Theres den hastigen Aufbruch. Wer muss, der muss, dagegen lässt sich nichts machen. Und wie sehr die Gute nun erleichtert war, bewies das muntere Pfeifen.
    Er wartete geduldig.
    Die Pfiffe ertönten nun lang gezogen, irgendwie dringend.
    Er blickte die Reihe der Weinstöcke entlang, die nur ein kleiner Pfirsichbaum unterbrach. Am untersten Ast wehte etwas Weißes im Wind. Zögernd schob er sein Rad in den Weingarten hinein.
    Was da wehte, war ein Taschentuch, ordentlich um den Zweig gebunden. Wer dringend muss, nimmt sich kaum Zeit, vorher noch Taschentücher an Äste zu binden. Markus pfiff, so gut er konnte, die Anti-Stress-Melodie nach, lehnte Tante Monas Rad an den Pfirsichbaum und lief entschlossen weiter. Am Ende der Zeile querte ein breiterer Weg den Weingarten, eine Schneise, frisch angelegt, die Erde war hier dunkler und weicher als zwischen den Weinstöcken. Tiefe Furchen wie von Traktorrädern oder Baggern schnitten durch den Löss.
    „Hallo, Marie-Theres!?“, rief Markus.
    Suchend schaute er nach allen Seiten, spähte nach neuen Hinweisen und entdeckte etwas, das ein Zeichen sein mochte: In einer der frischen Wegfurchen war mit trockenen Lehmklümpchen ein Pfeil gelegt. Er wies nach rechts. Markus lief weiter in dieser Richtung und kam an eine Absperrung, die nur aus Pfosten und Brettern bestand. Es war kein Problem, darüber zu klettern. „He, hallo, Marie-Theres?“
    „Na endlich!“, ertönte ihre Stimme von irgendwo weiter unten. „Willst du mich hier verhungern lassen, du detektivisches Minimaltalent?“
    Er war nicht sicher, was sie damit meinte, aber es klang bissig, richtig bissig.
    „Wo bist du, Marie-Theres?“
    „Am Rand des Bruchs, mit einem interessanten Ausblick auf das Gelände der Firma Morthand. Leider ein Stück zu tief. Und schwindlig ist mir auch geworden. Sei vorsichtig, wenn du näher kommst. Am besten, du robbst.“
    Er ging ein paar Schritte, dann sah er den grün überwucherten Abhang zu seinen Füßen und mitten im Buschwerk einen blaublonden Fleck.
    „Geht’s dir gut?“, fragte er.
    Sie knurrte wie Theodor, wenn er gekränkt war. „Nicht ganz so gut, weil ich dich zum Herausklettern brauche. Geh bitte zurück zu meinem Rad. Schau nach, ob etwas Brauchbares in meiner Notfalltasche steckt, ein Seil zum Beispiel. Sonst musst du deine Jeans ausziehen und sie mir herunterhalten, damit du mich hinaufziehen kannst.“
    Markus überlegte nicht lang, sondern riss sich Schuhe und Jeans herunter, schnallte den Gürtel zu einer festen Schlaufe und verknotete die Hosenbeine. Er legte sich auf den Boden und ließ die Hose gürtelabwärts hinunterbaumeln. „Halt dich am Gürtel fest, so weit herauf ist es nicht, und denk nicht an den fürchterlichen Abgrund, der unter dir gähnt.“
    Marie-Theres knurrte wie Theodor, wenn er wütend war, packte mit der einen Hand den Gürtel, mit der anderen einen Strauch und arbeitete sich langsam in die Höhe. Nun war ihr Gesicht genau vor seinem Gesicht.
    „Mensch“, presste sie zwischen den Zähnen hervor, „weißt du, dass du grau-grüne Augen hast mit kleinen goldenen

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