Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein
ging in den Flur zurück, verharrte vor der Treppe und lauschte. Kein Geräusch. Er stieg hinauf. Peter war alles andere als ein Schwergewicht, doch als er die erste Stufe betrat, knarrte das Holz sofort. Das schwache Licht aus dem Flur reichte bis zur Mitte der Treppe, dahinter lag undurchdringliche Dunkelheit. Aber Peter sah ohnehin nicht hinauf. Er achtete darauf, wohin er seine Füße setzte, verzog bei jedem Knarren das Gesicht. Auf der obersten Stufe angekommen, streckte er die Hand aus, um Licht zu machen. Seine Finger berührten den Schalter, doch er kam nicht mehr dazu, ihn umzulegen. Er sah den Schatten kaum, der sich aus der Tür zum künftigen Kinderzimmer löste, spürte aber die Bewegung, spürte etwas auf sich zukommen, das die Luft verdrängte.
Bevor er reagieren konnte, traf ihn das Bügeleisen an der Stirn. Der Schlag war wuchtig, die chromüberzogene Spitze drang tief in die Schädeldecke ein. Peter Brock gab ein unmenschliches Geräusch von sich, taumelte zurück, stürzte die Treppe hinunter und blieb auf dem gefliesten Boden des Flures liegen. Die verpackte Spieluhr polterte
Stufe für Stufe hinab, bevor sie zu seinen Füßen liegen blieb. Die Erschütterung setzte die feine Mechanik in Gang, und durch die Geschenkverpackung hindurch erklang gedämpft eine blecherne Version von Hänschen klein .
Die sanften Töne begleiteten Peter Brock in den Tod.
Drei Jahre später
Aus dem Dunkel näherten sich grausige Geräusche. Obwohl sie zunächst weit entfernt und leise waren, schrak das Kind doch wegen ihnen aus dem Schlaf. Es schlug die Augen auf, hielt den Atem an und lauschte. Zunächst war da nur das hastige, harte Wummern seines Herzens, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren; dann schwollen jene Geräusche, die es aus dem Schlaf geschreckt hatten, schnell von Neuem an, wurden infernalisch. Und es war kein Traum, die Geräusche waren real. Ein hohes Sirren in der Luft, weiter entfernt dumpfes, hohles Flattern. Plötzlich zerriss die nächtliche Schwärze, starkes, blendend helles Licht zuckte draußen vor dem Fenster hin und her, sprang dann unvermittelt durchs Glas und verdampfte die Dunkelheit.
Mit weit aufgerissenen Augen lag das Kind in seinem Bettchen; die Knie angezogen, dicht an die kalte, feuchte Wand gedrängt. Sein Atem ging stoßweise, es fürchtete sich vor den Lichtfingern, die den winzigen Raum durchzuckten, das Bett aber nicht erreichten.
Wo blieb Mama? Warum kam sie nicht?
Die Geräusche schwollen noch lauter an, wurden intensiver, ließen die Holzwände der Hütte erzittern. Das hohle Flattern trieb Luft in wellenartigen Schüben in den Körper des Kindes. Es spürte den Druck bis tief in die Lungen. Seine Angst wurde zur Panik, und doch fand der Junge die Kraft, die Decke beiseitezustrampeln und die nackten
Füße vor das Bett zu setzen. Den alten zerfledderten Teddy fest umklammernd stand er vor seinem Bett und begann zu weinen und nach seiner Mama zu rufen. Doch statt ihrer Stimme ertönte eine andere. Seltsam verzerrt und ungeheuer laut, noch lauter als die anderen Geräusche da draußen vor der Hütte.
Ein Riese! Ein Riese war durch den Wald gekommen, hatte die Bäume niedergewalzt und mit seinem Feueratem das Laub in Brand gesteckt. Der Riese aus der Geschichte, die Mama ihm vorgelesen hatte. Eine böse Gestalt, die Kinder raubte, um sie in jenes ferne Land zu bringen, in dem die grausame Königin Urgade herrschte. Sie fraß die Kinder, um selbst ewig jung zu bleiben.
Unsicher tapste der Junge zum Fenster. Er wollte sehen, wie seine starke, mutige Mama den Riesen in die Flucht trieb. Geblendet von dem grellen Licht kniff er die Augen zusammen, sein nackter Fuß stieß gegen ein Spielzeug. Es kippte um, der empfindliche Mechanismus wurde ausgelöst. Doch das Toben vor der Hütte war zu laut, als dass der Junge die Melodie hätte hören können.
Plötzlich verschwand das Licht. Von einer Sekunde auf die andere war es wieder dunkel im Zimmer. Den Teddy noch immer fest umklammernd, ging der Junge zum Fenster und zerrte am Vorhang. Im selben Moment flog die Tür auf. Mama stürzte in den Raum, packte das Kind bei den Schultern und riss es vom Fenster weg. Sie schrie, doch ihre Worte gingen unter in dem Höllenlärm. Und dann griff der Riese durch das Fenster. Glas zerplatzte, ein Scherbenregen sprühte in den Raum, stach der Mutter in den Rücken. Etwas rollte zwischen ihren Füßen hindurch. Eine Nebelkralle stieg vom Teppich auf, füllte rasend schnell das kleine
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