Hafen der Träume: Roman (German Edition)
bevor Sybill die Geistesgegenwart fand, ihre Hand auf seine Brust zu legen. Nein, sie wollte ihn nicht wegschieben, wurde ihr klar. Sie hätte am liebsten die Hand um den weichen Hemdstoff geballt und ihn festgehalten.
Doch dann schob sie Phillip weg. Es ging darum, mit ihm fertig zu werden. Darum, die Situation unter Kontrolle zu behalten.
»Das war als Horsd’œuvre nicht schlecht. Und jetzt sollten wir bestellen.«
»Sagen Sie mir, was Sie bedrückt.« Die Frage war ernst gemeint, stellte Phillip fest. Er wollte Sybill helfen, damit die Schatten aus ihren unglaublich hellen Augen verschwanden und sie wieder lächelte.
Er hatte nicht erwartet, seine Sympathie für sie so bald zu entdecken.
»Nichts.«
»Natürlich bedrückt Sie etwas. Und glauben Sie mir, nichts erleichtert mehr, als bei einem relativ fremden Menschen seine Sorgen abzuladen.«
»Da haben Sie Recht.« Sybill schlug die Speisekarte auf. »Aber die meisten relativ fremden Menschen sind
nicht übermäßig an den Alltagssorgen anderer interessiert.«
»Ich interessiere mich für Sie.«
Mit einem Lächeln sah Sybill von der Karte zu ihm auf. »Sie fühlen sich sexuell zu mir hingezogen. Das ist nicht immer dasselbe.«
»Ich denke, beides ist richtig.«
Phillip nahm Sybills Hand und hielt sie fest, als der Wein gebracht wurde und der Kellner ihm das Etikett zur Begutachtung zeigte. Sybill ruhig in die Augen sehend, mit der gleichen ausschließlichen Aufmerksamkeit, die sie bereits an ihm kannte, wartete er, bis der Probeschluck eingeschenkt war. Dann hob er das Glas und nippte, den Blick immer noch auf sie gerichtet.
»Der Wein ist wunderbar. Er wird Ihnen schmecken«, sagte Phillip leise zu ihr, während die Gläser gefüllt wurden.
»Sie haben Recht«, erwiderte Sybill, nachdem sie probiert hatte. »Er ist sehr gut.«
»Darf ich Ihnen die Spezialitäten des heutigen Abends empfehlen?« begann der Tischkellner munter. Während er aufzählte, saßen sie da, hielten sich bei den Händen und sahen einander tief in die Augen.
Sybill stellte fest, dass sie nur jedes dritte Wort verstand, doch das war ihr völlig egal. Phillip hatte einfach unglaubliche Augen, leuchtend warm wie altes Gold. Auf einem Gemälde in Rom hatte sie diese Farbe schon einmal gesehen. »Ich nehme einen gemischten Salat mit Vinaigrette, dazu den gegrillten Fisch des Tages.«
Phillip sah sie immer noch an, als er die Lippen langsam zum Kuss formte und ihre Hand zu sich zog, um sie an seinen Mund zu drücken. »Für mich das Gleiche. Und lassen Sie sich Zeit. Ich fühle mich stark zu Ihnen hingezogen«, sagte er zu Sybill. Der Kellner verdrehte die Augen und ging. »Und ich bin sehr an Ihnen interessiert. Erzählen Sie mir von sich.«
»Also gut.« Was könnte es schaden? sagte Sybill sich. Früher oder später hätten sie ohnehin auf einer anderen Ebene miteinander zu tun. Wenn sie sich jetzt verstanden, wäre das nur hilfreich. »Ich bin die gute Tochter.« Ein kleines selbstironisches Lächeln spielte um ihren Mund. »Gehorsam, respektvoll, höflich, akademisch gebildet, beruflich erfolgreich.«
»Welch eine Last.«
»Ja, manchmal schon. Natürlich ist mir bewusst, auf intellektueller Ebene, dass ich mich in meinem Alter nicht mehr von elterlichen Erwartungen leiten lassen muss.«
»Und dennoch« – Phillip drückte ihre Hand – »ist es so. Bei uns allen.«
»Bei Ihnen auch?«
Phillip dachte daran, wie er im Mondlicht am Wasser gesessen und sich mit seinem verstorbenen Vater unterhalten hatte. »Stärker, als ich geglaubt hätte. In meinem Fall sind es nicht die Eltern, denen ich verdanke, auf der Welt zu sein, aber sie haben mir das Leben wiedergeschenkt, dieses Leben. Aber zurück zu Ihnen. Wenn Sie die gute Tochter sind«, fragte er, »gibt es auch eine böse?«
»Meine Schwester war immer schwierig. Mit Sicherheit war sie für meine Eltern eine Enttäuschung. Und je mehr sie meine Eltern enttäuscht hat, desto mehr haben sie von mir erwartet.«
»Sie mussten immer perfekt sein.«
»Genau, und das kann ich nicht.« Sybill wollte perfekt sein, versuchte es – und scheiterte. Und natürlich kam jedes Scheitern einem Versagen gleich. Ein ewig wiederkehrender Kreislauf, überlegte sie.
»Perfektion ist langweilig«, bemerkte Phillip. »Und einschüchternd. Nicht sehr erstrebenswert, oder? Also, was ist passiert?« fragte er, als Sybill nur die Stirn runzelte.
»Es ist nichts Besonderes, wirklich nicht. Meine Mutter ist nur verärgert. Wenn ich nachgebe
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