Hafen der Träume: Roman (German Edition)
und wieder für ein Wochenende. Aber es war nicht mehr wie früher.«
Interessiert neigte Sybill den Kopf. »Möchten Sie das denn?« Sie erinnerte sich an das aufregende Triumphgefühl, als sie ihr Zuhause verließ, um am College zu studieren. Ihre eigene Herrin zu sein, nicht über alles und jedes Rechenschaft abzulegen. Freiheit.
»Nein. Aber es gab Zeiten, und es gibt sie noch immer, da vermisse ich, was einmal war. Denken Sie nie an diesen einen Sommer, der einfach traumhaft war? Man ist sechzehn, der Führerschein steckt frisch erworben in der Brieftasche, und die ganze Welt steht einem offen.«
Sybill lachte. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie hatte mit sechzehn keinen Führerschein gehabt. Damals lebten sie in London, erinnerte sie sich, und ein Chauffeur in Uniform brachte sie überall hin, falls ihre Eltern die Erlaubnis gaben. Manchmal schaffte Sybill es, das Haus heimlich zu verlassen und mit der U-Bahn zu fahren. Das war ihre kleine Rebellion gewesen.
Die Salatteller wurden abgeräumt, und der Kellner servierte die Vorspeise. »Sechzehnjährige Jungen«, sagte Sybill, »sind emotional stärker mit ihren Autos verbunden als Mädchen.«
»Für einen Jungen ist es leichter, ein Mädchen zu finden, wenn er einen fahrbaren Untersatz hat.«
»Ich bezweifle, dass Sie auf diesem Gebiet Schwierigkeiten hatten, mit oder ohne Wagen.«
»Es ist schwierig, auf dem Rücksitz zu schmusen, solange man kein Auto hat.«
»Auch wieder wahr. Und jetzt sind Sie nach St. Christopher zurückgekehrt, genau wie ihre Brüder.«
»Ja, stimmt. Mein Vater hat Seth unter komplizierten und noch nicht völlig geklärten Umständen aufgenommen. Seths Mutter … wenn Sie länger in der Gegend bleiben, werden Sie das Gerede noch mitbekommen.«
»Ja?« Sybill hob ein Stück Fisch auf die Gabel und hoffte, dass sie den Bissen hinunterbekam.
»Mein Vater lehrte Englische Literatur an der Eastern Shore Universität von Maryland. Vor nicht ganz einem Jahr verlangte eine Frau ihn zu sprechen. Das Gespräch fand unter vier Augen statt, daher kennen wir nicht alle Einzelheiten, aber es war wohl keine erfreuliche Begegnung. Anschließend ging sie zum Dekan der Universität und beschuldigte meinen Vater, sie sexuell belästigt zu haben.«
Sybills Gabel fiel klappernd auf den Teller. Sie hob sie so beiläufig wie möglich wieder auf. »Das muss sehr schwierig für ihn gewesen sein, für Sie alle.«
»Schwierig ist nicht ganz das richtige Wort. Die Frau behauptete, vor Jahren seine Studentin gewesen zu sein. Mein Vater habe sie eingeschüchtert und Sex von ihr verlangt. Sie habe sich auf eine Affäre mit ihm eingelassen, als Gegenleistung für gute Zensuren.«
Nein, Schlucken war unmöglich, dachte Sybill. Ihre Finger krampften sich um die Gabel, bis sie schmerzten. »Sie hatte eine Affäre mit Ihrem Vater?«
»Nein, das behauptete sie. Damals war meine Mutter noch am Leben«, sagte Phillip halblaut, wie zu sich selbst. »Eines ist sicher, ihr Name taucht nirgends in den Universitätsakten auf. Mein Vater lehrte dort seit über zwanzig Jahren. Und es hat nie auch nur den Schimmer eines Verdachts auf Verfehlung gegeben. Die Frau hat versucht, seinen guten Ruf zu ruinieren. Und seine Ehre besudelt.«
Natürlich war alles gelogen, dachte Sybill gequält. Glorias übliches Verhaltensmuster. Beschuldigen, schädigen, davonlaufen. Aber Sybill musste ihre Rolle weiterspielen. »Warum? Welchen Grund könnte Sie haben, so etwas zu tun?«
»Geld.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Mein Vater hat ihr Geld gegeben, eine beachtliche Summe. Für Seth. Sie ist Seths Mutter.«
»Sie wollen sagen, dass sie … ihren Sohn für Geld weggegeben hat?« Nicht einmal Gloria könnte so etwas Entsetzliches tun. Nein, nicht einmal Gloria, dachte Sybill. »Das kann ich kaum glauben.«
»Nicht alle Mütter verhalten sich auch mütterlich.« Phillip zuckte mit den Schultern. »Er schrieb einen Scheck über mehrere tausend Dollar aus auf den Namen von Gloria DeLauter, so heißt sie. Dann fuhr er für ein paar Tage weg und kam mit Seth zurück.«
Wortlos hob Sybill das Glas und trank einen kühlenden Schluck Wasser. Er kam und hat mir Seth weggenommen ,
hatte Gloria bei ihr geschluchzt. Seth ist bei ihnen. Du musst mir helfen .
»Wenige Monate später«, fuhr Phillip fort, »schrieb mein Vater wieder einen Scheck aus, der ihn beinahe seine gesamten Ersparnisse kostete. Auf dem Rückweg von Baltimore hatte er den Unfall, an dessen Folgen er starb.«
»Es tut
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