Hafen der Träume: Roman (German Edition)
mir so Leid«, murmelte Sybill. Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, wie unangemessen die Worte klangen.
»Er hielt durch, bis Cam aus Europa eingetroffen war, und bat uns drei, Seth bei uns zu behalten und für ihn zu sorgen. Wir tun alles, um dieses Versprechen zu halten. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, das wäre immer einfach gewesen«, fügte er hinzu, das Gesicht von einem kleinen Lächeln wieder aufgehellt. »Aber wenigstens hatten wir keine Langeweile. Wieder in St. Christopher zu sein und die Werft aufzubauen war auch keine schlechte Wahl. Cam hat dabei die Frau fürs Leben gefunden«, fügte er grinsend hinzu. »Anna ist die Sachbearbeiterin in Seths Sorgerechtsfall.«
»Wirklich? Dann können sie sich kaum lange gekannt haben.«
»Wenn es funkt, funkt es eben. Dabei spielt Zeit keine Rolle.«
Sybill glaubte das Gegenteil. Zeit war ganz entscheidend. Eine gute Ehe brauchte eine solide Basis, und daran musste ein Paar arbeiten. Die tiefe Kenntnis der Persönlichkeit des anderen, die Gewissheit zusammenzupassen und die Formulierung gemeinsamer Ziele waren unerlässlich.
Andererseits ging es sie nichts an, wie die Quinns diesen Teil ihrer Familienangelegenheiten regelten.
»Eine spannende Geschichte.« Wie viel davon mochte stimmen? überlegte Sybill und fühlte sich todunglücklich. Sollte sie jetzt glauben, dass ihre Schwester den eigenen Sohn verkauft hatte?
Die Wahrheit lag vermutlich in der Mitte, entschied sie. Im Allgemeinen ließ sich bei gegensätzlichen Darstellungen der wahre Kern aus der Mitte herausarbeiten.
Phillip wusste nicht Bescheid. Das war offensichtlich. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was Gloria für Raymond Quinn gewesen war. Wenn diese Tatsache hinzukam, wie würde sich der Fall dann darstellen?
»Im Augenblick klappt es ganz gut. Der Junge ist glücklich und zufrieden. Noch ein paar Monate, dann sollte die Adoption über die Bühne sein. Es hat auch Vorteile, den großen Bruder zu spielen. Endlich habe ich jemanden zum Herumkommandieren.«
Sybill musste nachdenken. Es war nicht richtig, sich nur von ihren Gefühlen leiten zu lassen. Aber zuerst musste sie diesen Abend durchstehen. »Was sagt Seth dazu?«
»Für ihn ist die Sache perfekt. Bei Cam und Ethan kann er über mich meckern, und wenn er auf mich sauer ist, geht er zu Cam und Ethan. Er weiß, wie er uns gegeneinander ausspielt. Seth ist ein schlauer Bursche. Als mein Vater ihn hier in der Schule anmeldete, wurde ein Einstufungstest gemacht. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Und in seinem letzten Zeugnis gibt es fast nur Einser.«
»Wirklich?« Sybill merkte, dass sie lächelte. »Sie sind stolz auf ihn.«
»Klar. Und auf mich. Ich bin nämlich dazu verdonnert, sein Heimcomputer zu sein. Bis vor kurzem hatte ich fast vergessen, wie sehr ich Bruchrechnung hasse. So, meine lange Geschichte habe ich Ihnen erzählt. Wie wär’s, wenn Sie mir jetzt erzählen, was Sie von St. Christopher halten?«
»Ich fange an, mich zurechtzufinden.«
»Heißt das, Sie beabsichtigen noch eine Weile zu bleiben?«
»Ja, eine Weile.«
»Eine Stadt am Meer können Sie nur dann richtig kennen lernen, wenn Sie auch auf dem Wasser waren. Warum gehen Sie nicht morgen mit mir segeln?«
»Müssen Sie nicht zurück nach Baltimore?«
»Erst am Montag.«
Sybill zögerte, bis sie sich auf den Grund ihres Aufenthaltes besann. Wenn sie wirklich die Wahrheit herausfinden wollte, konnte sie sich jetzt keinen Rückzieher leisten. »Das würde mir gefallen. Allerdings weiß ich nicht, wie ich mich als Matrosin mache.«
»Das sehen wir dann schon. Ich hole Sie ab. Um zehn, halb elf?«
»Gut. Ich nehme an, Ihre ganze Familie geht segeln?«
»Ja, sogar die Hunde.« Phillip lachte, als er Sybills Gesichtsausdruck sah. »Wir nehmen sie nicht mit.«
»Ich habe keine Angst vor ihnen. Ich bin nur nicht an Hunde gewöhnt.«
»Hatten Sie nie einen kleinen Hund?«
»Nein.«
»Eine Katze?«
»Auch nicht.«
»Einen Goldfisch?«
Lachend schüttelte Sybill den Kopf. »Nein. Wir sind ziemlich oft umgezogen. Einmal hatte ich eine Schulfreundin in Boston. Ihre Hündin hatte geworfen. Die Welpen waren furchtbar süß.« Seltsam, dachte sie, dass sie ausgerechnet jetzt daran dachte. Sie hatte sich damals verzweifelt einen dieser Welpen gewünscht.
Natürlich war das unmöglich gewesen. Antike Möbel, hochrangige Gäste, soziale Verpflichtungen. Kommt überhaupt nicht infrage, hatte ihre Mutter gesagt. Und damit war das Thema
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