Hafen der Träume: Roman (German Edition)
und tue, was sie will … nein, ich kann nicht. Ich kann es einfach nicht.«
»Sie haben Schuldgefühle, sind traurig, und es tut Ihnen Leid.«
»Ich fürchte, zwischen uns wird es nie wieder sein wie früher.«
»So schlimm?«
»Ja, könnte sein«, murmelte Sybill. »Ich bin meinen Eltern dankbar für all die Chancen, die sie mir geboten haben, die Erziehung, die Bildung, den ganzen Hintergrund. Wir sind ziemlich viel gereist. Als Kind habe ich eine Menge gesehen, verschiedene Kulturen, verschiedene Länder. Diese Erfahrung ist in meinem Beruf nicht hoch genug einzuschätzen.«
Chancen, überlegte Phillip. Bildung, Erziehung und Reisen. Liebe, Zuneigung und Vergnügen tauchten in dieser Liste nicht auf. Er fragte sich, ob Sybill bewusst war, dass sie eher eine Schule als eine Familie beschrieb. »Wo sind Sie aufgewachsen?«
»Hm. An verschiedenen Orten. New York, Boston, Chicago, Paris, Mailand, London. Mein Vater hielt Vorträge und hatte viele Klienten. Er ist Psychiater. Heute leben meine Eltern in Paris. Paris war immer die Lieblingsstadt meiner Mutter.
»Transozeanische Schuldgefühle.«
Sybill musste lachen. »Ja.« Sie lehnte sich zurück, als der Salat serviert wurde. Es war merkwürdig, aber sie fühlte sich tatsächlich besser. Ihm Einblick in ihr Leben zu gewähren entlastete sie von dem Gefühl, ein falsches Spiel zu treiben. »Und Sie sind hier aufgewachsen?«
»Ich war dreizehn, als ich nach St. Christopher kam und die Quinns meine Eltern wurden.«
»Wurden?«
»Das ist Teil der langen Geschichte.« Phillip hob sein Weinglas und betrachtete Sybill über den Rand hinweg. Wenn er mit einer Frau über sein Leben sprach, verwendete er bei diesem Abschnitt normalerweise die für solche Anlässe sorgfältig zurechtgelegte Version. Nicht, dass er log, aber er ließ alle unschönen Details vor der Zeit mit den Quinns weg.
Merkwürdig, Sybill wollte er plötzlich ungeschminkt die ganze hässliche Wahrheit erzählen. Er zögerte und entschied sich dann für einen Mittelweg. »Ich bin in Baltimore aufgewachsen, in einer rauen Gegend. Mit dreizehn geriet ich endgültig auf die schiefe Bahn. Durch die Quinns bekam ich die Chance, mein Leben zu ändern. Sie nahmen mich als Pflegekind auf, brachten mich nach St. Christopher, und so wurden wir eine Familie.«
»Die Quinns haben Sie adoptiert.« Diese Information besaß Sybill bereits durch ihre Nachforschungen. Sie hatte alles zusammengetragen, was sie über Raymond Quinn finden konnte. Aber den Grund für diese Adoption kannte sie nicht.
»Ja. Sie hatten bereits Ethan und Cam, und dann nahmen sie noch ein Kind auf. Am Anfang habe ich es ihnen nicht leicht gemacht, aber die Quinns hielten zu mir. Ich habe nie erlebt, dass einer von ihnen vor einem Problem kapituliert hätte.«
Phillip dachte an seinen Vater, wie er schwer verletzt und sterbend in seinem Krankenbett lag. Selbst in diesem Moment hatten Rays Gedanken seinen Söhnen gegolten, er sorgte sich um seine Familie, zu der auch Seth gehörte.
»Als ich Sie zum ersten Mal sah«, begann Sybill, »alle drei Quinns zusammen, da wusste ich, dass Sie Brüder waren. Nicht wegen einer körperlichen Ähnlichkeit. Es war subtiler. Sie sind ein Beispiel dafür, dass die Umwelt mächtiger sein kann als Erbfaktoren.«
»Mehr noch ein Beispiel dafür, wie zwei großherzige
Menschen durch ihr entschlossenes Handeln drei verlorene Jungen retten können.«
Sybill trank einen Schluck Wein, um das Kratzen in der Kehle zu lindern, bevor sie sprach. »Und Seth.«
»Der Verlorene Nummer Vier. Wir versuchen, die Bitte unseres Vaters zu erfüllen und ihm das zu geben, was er von unseren Eltern erhalten hätte. Meine Mutter starb vor einigen Jahren. Danach fühlten wir uns alle vier ziemlich verloren. Sie war eine außergewöhnliche Frau. Ich glaube, wir haben ihr nie genug sagen können, wie wunderbar sie war.«
»Doch, ich denke, das haben Sie.« Gerührt vom Klang seiner Stimme, lächelte sie ihn an. »Ich bin sicher, sie hat sich sehr geliebt gefühlt.«
»Ich hoffe es. Nachdem wir sie verloren hatten, verschwand Cam nach Europa. Autorennen, Bootsrennen, und was es sonst noch gibt. Er hatte ziemlich viel Erfolg. Ethan blieb hier und kaufte sich ein eigenes Haus. Die Bucht lässt ihn nicht mehr los. Ich ging wieder nach Baltimore. Ein unverbesserlicher Stadtmensch«, fügte er flüchtig lächelnd hinzu.
»Inner Harbor, Camden Yards.«
»Genau. Hierher kam ich nur noch gelegentlich. Um Ferien zu machen oder hin
Weitere Kostenlose Bücher