Hafenweihnacht
genügend Zeit gehabt, um der Sache nachdrücklicher nachzugehen, wegen der anderen Einsätze – Familienstreitigkeiten, wie sie in der Vorweihnachtszeit zunahmen, Verkehrsunfälle und dann die Frühstücksstreife eben. Robert Funk nahm alle Daten auf, packte in aller Ruhe die Utensilien für die Tatortarbeit ein – ED-Koffer, Fototasche, Leuchte – und machte sich auf den Weg. Im Hof war ihm Erich Gommert entgegengekommen, den er knapp informierte, wohin er weswegen fahren würde.
Das Funkgerät im BMW ließ er ausgeschaltet. Schließlich wusste man Bescheid, wohin er unterwegs war. Langsam fuhr er durch den dunklen Morgen. Die Friedrichshafener Straße hatte er gemieden und den Weg über die Wackerstraße genommen. Es war schon lange her, dass er den schmalen, romantischen Weg durch Schachen und vorbei an der Reutener Werft an einem so dunklen Wintermorgen gewählt hatte. Die erleuchteten Fenster in Wasserburg ließen ein Gefühl von Einsamkeit nicht aufkommen, das man angesichts der menschenleeren Straßen hätte bekommen können. Vorbei an der Wasserburger Ebenhalde, wo früher die monströs-bezaubernde Villa Nill gestanden hatte und deren Platz nun von drei modernen Seeblickhäusern eingenommen wurde, kam er nahe am See nach Nonnenhorn hinein. Er wusste ungefähr, wohin er musste und fand es gar nicht schlecht, ein wenig nach der Zieladresse suchen zu müssen; das schärfte Auge und Aufmerksamkeit. Hier im Viertel versteckten sich ansehnliche Einfamilienhäuser hinter hohen Büschen und Bäumen, und waren umgeben von ausladenden Gartenparadiesen. Von der Straße her waren nur die oberen Hälften der Fassaden und Dächer zu erkennen. Der See konnte nicht weit sein und wenn ihn der ein oder andere Bewohner von seinem Balkon aus nicht sehen konnte, dann hörte und roch er ihn doch.
Robert Funk kontrollierte die Hausnummer, die er notiert hatte – neunundvierzig. Es war das vorletzte Haus in der Straße. Er parkte vor der Garageneinfahrt, stieg aus und zog augenblicklich den Schal fest um den Hals. Der Windböe, die ihn empfindlich getroffen hatte, drehte er den Rücken zu. Verwundert fiel sein Blick auf die Fläche Verbundsteine, die vor der Garageneinfahrt verlegt waren und aus deren Fugen dicke, hohe Grashalme gewachsen waren, die nun grau und matschig von Kälte und Nässe auf den Steinen lagen. Schon lange war hier kein Auto mehr gefahren.
Bei der Herfahrt hatte er in den beidseits der Straße liegenden Grundstücken einige Lichter ausmachen können, die bis zur Straße hindurchgedrungen waren. Hier am Haus aber lag alles in Dunkelheit. Auch von den direkt angrenzenden Grundstücken war kein Laut zu hören. Er konnte nicht erkennen, wie in einem dunklen Raum des gegenüberliegenden Hauses die Stores sanft beiseitegeschoben wurden, sich eine Gestalt an die Fensterscheibe schob und ihn durch die kahlen Äste des Gehölzes beobachtete.
Robert Funk leuchtete den Eingangsbereich ab. Von dem wenigen Schnee war hier nur Matsch übrig geblieben. Ein Jägerzaun trennte das Anwesen vom Gehweg ab. Die nackten Zweige der übermannshohen Buchenhecke ragten weit empor; waren lange nicht mehr geschnitten worden. Insgesamt machte das Anwesen einen unbewohnten und ungepflegten Eindruck. Er sah sich um. Die Kollegen hatten gesagt, es sei eine Frauenstimme gewesen, die von dem Einbruch berichtet hatte. Mitten in der Nacht. Ihren Namen hatte sie nicht nennen wollen, obwohl sie mehrfach danach gefragt worden war. Sie hatte im hiesigen Dialekt gesprochen. Robert Funk hatte darauf verzichtet, den Begriff hiesig geografisch einzugrenzen. Die Mitteilerin wollte eine Gestalt gesehen haben, die in verdächtiger Weise am Haus herumschleichen würde. Mehr Information gab es nicht. Robert Funk drückte das hüfthohe Holztor auf und ging auf den Waschbetonplatten zur Haustür und leuchtete alles ab. Keine Hebelspuren waren zu erkennen. Er drückte mit den Schultern gegen die Türe. Sie saß fest in den Angeln. Ein schmaler Steinpfad führte nach links in den Garten. Von dort musste man zur Südseite des Hauses kommen, wo sich üblicherweise Terrasse und Balkon befanden. Aber wie hätte jemand von außen sehen sollen, dass dort hinten jemand herumgeschlichen sein sollte. Von Süden her war das Grundstück von einem dichten Gebüsch- und Heckenfeld abgegrenzt. Dahinter breitete sich ein Weingarten aus. Robert Funk hielt kurz inne, ging dann zur Tür zurück und drückte auf die Klingel. Ein lautes, schnarrendes Geräusch erschreckte
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