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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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Begriff. Er knurrte und murmelte, während er überlegte, wiederholte mehrmals halblaut: »Drohst, mhm, Drohst … Nonnenhorn … mhm«, musste aber letztlich passen.
    Schielin verabschiedete sich von ihm, nicht ohne das Versprechen auf einen gemeinsamen Musikabend zu geben. Dass sein Nachbar überhaupt nichts zum Namen Drohst zu sagen wusste, kam ihm ungewöhnlich vor. Was musste das für eine Familie sein, von der er noch nichts gehört hatte. Unbegreiflich.

    Ronsard musste ihre Stimmen gehört haben, denn er stand bereits erwartungsvoll am Zaun. Die weiße Mehlschnauze leuchtete matt im Dunkel. Schielin griff zufrieden in das Winterfell, dessen harte Locken sich gut fassen ließen. Darunter war ein warmer Leib spürbar. Er kratzte seinem Esel den Nasenrücken und fuhr ihm kräftig um die Ohren, so wie der es besonders mochte und sprach leise mit ihm, erzählte von dem, was er erlebt hatte, diesen ganzen langen Tag über und überzeugte sich, dass es ihm gut ging, dem Esel.

    Marja hatte auch schon von dem Toten gehört und goss zur Begrüßung ein besonders gut gefülltes Glas Wein ein. Die Terminverschiebung Lauras Umzug betreffend führte zu keinerlei Diskussionen. Einem genussvollen Abend stand nichts im Wege. Trotzdem meldete sein feines Gespür für die Schwingungen und Stimmungen in seiner Familie – jenes Gespür, welches ihm in regelmäßigen Abständen von den Töchtern und seiner Frau immer wieder abgesprochen wurde –, dass etwas nicht so recht stimmen konnte. Es ging zu harmonisch zu, zu glatt, zu ölig. Etwas passte nicht. Er schärfte seine Sinne.
    Normalerweise war das Töchterchen nicht zu sehen, sondern hockte in ihrem Zimmer, wo der Facebookaccount mit Überflüssigem vollgemüllt wurde. Wenn sie herunten war, hing das Gesicht ständig am Bildschirm, entweder des Handys, des Notebooks oder des Fernsehers. Lebende, sprechende, sich vor einem bewegende Menschen waren von geringem Interesse. Einige Tage zuvor war der Internetzugang ausgefallen, was sich in drastischer Weise auf das Gemüt der Tochter geschlagen hatte. Im Laufe einer unerfreulichen Kommunikation hatte sie ihn gefragt, wie sie denn damals ins Internet gekommen waren. Die Frage hatte ihm die Sprache verschlagen. Wie sie damals ins Internet gekommen sind – seine Generation also. Die Frage hatte ihm deutlich gemacht, mit welcher Selbstverständlichkeit dieses Internetzeugs heute empfunden wurde. So selbstverständlich, als habe Luther seine Thesen nicht an eine Tür genagelt, sondern dem Papst gepostet.
    Schielin erinnerte sich, dass sie Probleme gehabt hatten in die entsprechenden Spelunken und Kaschemmen zu kommen. Das waren die Probleme, die sie hatten. Und in diesem, seinem Elternhaus, gab es noch nicht mal einen Fernseher und wenn man sich mit Freunden treffen wollte, dann tat man das, indem man sich so richtig analog traf. An Sonntagabenden begegnete man halb Reutin vor der Telefonzelle, um den günstigen Tarif bei Ferngesprächen auszunutzen, und selbst, als sie später ein eigenes Telefon hatten, fasste man sich kurz. »Und ihr heute«, hatte er dann geschimpft, »ihr seid ständig am Quatschen, ständig, stundenlang, penetrant – Gequatsche. Und das langt dann immer noch nicht, ihr müsst auch in diese Dinger reinquatschen, wenn ihr durch die Straßen lauft, im Bus fahrt, beim Essen seid – ihr seid eine verquatschte Generation, ja, das seid ihr und es wird nicht mehr lange dauern, dann lassen sich die ersten so nen Quatschchip ins Hirn montieren. Ihr sitzt mit Freunden beim Essen und quatscht am Handy mit anderen, und damit verdoppelt ihr nicht die Zeit, die ihr hier auf Erden habt, sondern ihr halbiert sie, verstehst du mich!?«
    Lena hatte ihn angesehen, als käme er von einem anderen Stern, einem alten, müden, analogen Stern, der sich in ein schnelles digitales Universum verirrt hatte. Sie verstand selbstverständlich überhaupt nicht, was er meinte, der Alte.

    Das Abendessen heute verlief weit entfernt von derlei Zank und in wirklich befremdlicher Eintracht und Einhelligkeit. Die Wahl der Gesprächsthemen kreiste in weitem Bogen um das Anwesen und die seine Bewohner betreffenden Gefühle. Schielin war überzeugt: Es war etwas im Busch. Eine Zeit lang überlegte er, ob er einfach fragen sollte, ließ es aber sein, angesichts der Gefahr sofort als unsensibel geziehen zu werden, wo es doch einmal so besonders harmonisch zuging. Vielleicht litt er an familiärem Verfolgungswahn, oder so. Er aß, er schwieg und saß

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