Hafenweihnacht
und zeige deinen guten Willen, schau es dir mal unvoreingenommen an; weil ich ja schon immer rumgegoscht habe, du weißt ja … mir wäre eine normale Schule lieber gewesen, aber mein Holder wollte ja eine besondere Förderung des rhythmischen und räumlichen Empfindens, und die intensive Begünstigung der Erlebniskräfte und schöpferischen Fähigkeiten des jungen Wesens.«
Schielin erinnerte sich an die Diskussionen von damals.
»Ja, das war ein Reinfall, sage ich dir. Ich komme da todmüde am Abend nach dem Job hin, und dann verlangen die von uns, Feen und Elfen zu basteln.« Sie unterbrach ihre Aufräumarbeiten und sah Schielin auffordernd an. Das Wort Feen hatte sie mit schwingendem Timbre und lang klingendem Vokal ausgesprochen. Diese Feen versetzten sie offensichtlich noch heute in Erstaunen.
»Feen?«, fragte Schielin artig nach.
»Genau. Feen. Diese mythischen, meist weiblichen Fabelwesen, du weißt. Aus Papier sollten sie sein. Ich also gleich losgelegt, mir das Papier geschnappt, Konzept entwickelt, und drauflosgeschnippelt. Ruck, zuck lagen da zehn Feen auf dem Tisch, da haben die anderen noch diskutiert, welchen inneren Ausdruck ihr Ding denn nach außen bringen sollte, oder so Zeugs.«
»Sei froh, dass du deinen Namen nicht tanzen musstest«, lachte Schielin.
Lydia winkte ab und fuhr fort: »Auf jeden Fall haben die mich dann blöd angemacht, so auf die Betroffenheitstour, weißt du, dieser Verständnissprech, hinter dem sich so wunderbar Bösartigkeit und Boshaftigkeit verstecken lässt.
Sie meinten, dass es nicht um Serienfertigung ginge, sondern darum, einer an sich toten und entseelten Materie den Ausdruck eines Selbstseins zu geben. So hat mir das eine von diesen Voodoo-Muttis jedenfalls versucht zu erklären. Ich sehe heute noch ihr betroffenes Gesicht vor mir. Ich dachte mir nur, du bist mir schon so eine Marie – ich hetze mich ab, um hierherzukommen, dabei will eigentlich nur meine Ruhe. Dann wollt ihr Feen – und da habt ihr welche. Aber ich sage dir: Ein paar von diesen Zahnarztgattinnen dort, die haben wirklich geglaubt, sie selbst wären es, die toter, entseelter Materie ein Selbstsein geben könnten. So sind sie jedenfalls dahergekommen und haben auch so ausgesehen. Ich werde es nie vergessen, weil … weißt du, das war damals, wo es so warm war, da hatten wir den toten Zöllner in der Wohnung in Aeschach, der sich die Plastiktüte über den Kopf gezogen hat und dann in der Badewanne ersoffen ist …« Sie wartete auf seine Erinnerung.
Schielin überlegte und sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass er mit Lydias Zöllnergeschichte nichts anfangen konnte.
»Na, der mit den Spermagläsern im Kühlschrank«, half sie nach.
»Ach, genau, der!«, fiel es ihm wieder ein. Das war der Kerl gewesen, den lange keiner vermisst hatte. Selbst im Dienst war man einige Tage gut ohne ihn ausgekommen.
Lydia lächelte böse. »Ich weiß noch, wie ich mir damals überlegt hatte, der versammelten Feen-Kompetenz von dieser Geschichte zu erzählen, bis ins kleinste Detail. Hab’s aber dann sein lassen und das war auch besser so. Aber seither gehe ich da nicht mehr hin. Mein Allerbester übernimmt das.«
Gerade als Schielin nachfragen wollte, wie denn das Geschäft mit der Kunst aktuell so laufe, rief Kimmel zur Besprechung. Lydia Naber hackte hektisch auf der Computertastatur herum und sah nach, ob vielleicht eine Nachricht eingetroffen war. Schielin war schon im Gang, als er einen zufriedenen Laut von ihr hörte.
Kimmel brachte in einer kurzen Zusammenfassung nochmals alle Informationen zur Kenntnis und fragte in die Runde, ob es etwas Neues gäbe.
Lydia Naber wedelte mit einem Blatt Papier. Es war der Ausdruck einer Mail vom LKA. Sie erläuterte, dass die Kollegen dort noch am Abend die übermittelte Handynummer verifiziert hätten und diese Nummer bereits seit Jahren auf den Namen Jochen Drohst eingetragen sei. Die Simkarte sei seit gestern Abend in der Trackingliste aufgenommen und sie würden unverzüglich Bescheid bekommen, falls sich jemand mit ihr in ein Netz einbuchen würde.
Kimmel nickte zustimmend. Was wären die Ermittlungen ohne diese freiwilligen, elektronischen Fußfesseln heutzutage wohl wert?
Nun war, wie dies immer war, Schielin an der Reihe. Ihm fehlte nach wie vor eine logische Erklärung, die Tat oder den Tatverlauf betreffend. Dies lag an der verwirrenden Faktenlage und den bisher nur bruchstückhaften Erkenntnissen über das Leben des Toten. So sehr er sich auch
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