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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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konnte, waren Hände und Finger von einer bleichen, wachsig glänzenden Kältehaut überzogen.
    Soweit der braune Mantel ein Urteil zuließ, musste man eine hagere Gestalt darunter erwarten. Das magere Gesicht stützte diesen Eindruck, so schmal und bleich wie es war, mit hervorstehenden Wangenknochen und hellblauen Augen ohne jeglichen Glanz. Zwischen den dunklen, glatten Haaren, die ein Seitenscheitel einfallslos teilte und zu beiden Seiten bis auf die Schulter fallen ließ, waren erste graue Strähnen zu erkennen.
    Sie war Anfang vierzig und Lydia Naber urteilte schnell und schonungslos: Ein altes Mädchen bist du, dachte sie, ein altes Mädchen. In Gedanken listete sie die Fakten, die ihrem Urteil zugrunde lagen, auf und analysierte, wer da vor ihr saß. Wie sie ihre Haare trug, der altbackene Mantel, die Körperhaltung zwischen verschämt und trau-mich-nicht, ihre zurückhaltende und dennoch verstörende Mimik, die ständige Flucht vor Blickkontakten; dieses scheue Gehabe, es rührte aus einem Lebensabschnitt, den sie lange hinter sich hätte haben sollen – die Pubertät. So mit fünfzehn, sechzehn, da war sie einfach verharrt, aus welchem Grund auch immer. Und zu dieser Gehemmtheit kam noch eine andere Seite, die Lydia Naber deutlich wurde, als Britta Drohst den Schal in ihre Handtasche stopfte. Schnell und grob, als müsse sie ihn verstecken. Um ihre Mundwinkel spielte dabei ein mokanter Zug, der die Unnachgiebigkeit eines Erwachsenen offenbarte, den Frustrationen, Enttäuschungen und Schicksalsschläge beharrlich gegenüber dem Leben gemacht hatten.

    Schielin erschien und Lydia Naber überließ ihm die Gesprächsführung, weil diese Britta Drohst ihr Interesse an Obskurem geweckt hatte und sie so entspannter beobachten konnte.
    Schielin entbot im Namen aller Kollegen die Beileidswünsche.
    Lydia Naber wunderte sich, weshalb sie das vergessen hatte. Das war ihr eigentlich noch nie passiert. War es, weil sie keine Trauer feststellen konnte?
    Britta Drohst nestelte an ihrer Handtasche und nickte kaum merklich in das Nichts zwischen Tisch und Wand, so als wäre ihr die Situation peinlich. Schielin erläuterte, dass später noch ein Kollege dazukommen wollte. Es war Robert Funk, der einige Fragen hatte, die das Haus in Nonnenhorn betrafen.
    Britta Drohst sah entweder auf die Tischplatte oder zur Seite hin. Schielin musterte sie und wartete. Vielleicht würde ein Weinanfall kommen. Was auch immer. Schweigen war immer möglich und erzeugte eine Stille, die ein guter Verbündeter war, wenn es um Befragungen und Verhöre ging. Sie ermöglichte einem in Ruhe Gedanken zu formulieren, manchmal half sie dabei, die Beherrschung wiederzuerlangen, und nicht selten tat sie denjenigen weh, die durch Reden ihre Selbstschau verhindern wollten.
    Britta Drohst hatte sich keine Worte zurechtgelegt und musste auch nicht weinen. Nach einer Weile des Wartens wandte sie sich Schielin zu und sah ihn auffordernd an. Ihr Blick war unzweideutig: Ja, was ist nun? Jetzt bin ich hier, wie das von euch gewollt war und nun stellt endlich eure Fragen.
    Er wollte auf das Drumherum verzichten und stellte in ruhigem Ton fest: »Sie hatten Streit mit Ihrem Bruder?« Es klang selbstverständlich und unaufgeregt.
    »Ja. Wir hatten Streit miteinander, der allerdings über Anwälte ausgetragen wurde. Wir selbst haben uns nicht direkt … Sie wissen, was ich meine.«
    »… miteinander befasst?«, schloss Lydia Naber ihren Satz ab und nahm ihren Notizblock zur Hand.
    Sie notierte etwas und ließ ihre Augen zur Kontrolle aufblitzen, um etwas Unsicherheit in die fest klingende Stimme des alten Mädchens zu bringen. Es war verrückt. Sie saß hier im Vernehmungsraum, ihre Gedanken waren völlig klar, sie hörte jedes Wort dieser Frau und doch lief ein zweiter Gedankenstrang in ihrem Gehirn ab. Auf ihrem Notizblock hatte sie notiert: Orangeat, Mandeln, Zimt, große Oblaten.
    Britta Drohst kommentierte ihre provokante Äußerung nicht.
    Schielin fragte weiter: »Wir haben bisher nur wenig über Ihren Bruder in Erfahrung bringen können und hoffen daher von Ihnen als seiner Schwester einige Informationen zu erhalten.«
    Ihr Gesicht blieb ohne Reaktion.
    »Erzählen Sie uns doch einfach von Ihrem Bruder«, schlug Schielin vor.
    Lydia verkniff sich ein Grinsen, denn das war gemein. Jeder konnte sehen, dass Britta Drohst nicht der Typ war, der erzählen konnte. Sie gehörte zu denen, die auf vorformulierte Fragen antworteten – der klassische

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