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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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versetzt glauben. Doch alle, die verwundert, verärgert oder neugierig am Auto vorbeiliefen, trugen dicke Mäntel und hatten ihre Hälse in dicke Schals gepackt.
    »Also dieses Handy muss in einem dieser Häuser sein, denn alle, die ich sehe, sind in Bewegung, was ja kein Wunder ist bei der Kälte, niemand steht rum und ein geparktes Auto ist nicht zu sehen … schaun wir also mal.«
    Sie stiegen aus und gingen die Straße ab.
    Schielin war zielstrebig zu einer breiten Holztür gegangen. Ein auffälliges Kunststoffschild an der Wand daneben wies auf ein Therapiezentrum hin. So jedenfalls stand es auf dem Schild. Darüber strahlte eine Sonne über dichten grünen Bäumen und durch die gesunden, dicken Stämme schimmerte Wasser. In großen Buchstaben spannte sich der Begriff ESOVITAL.
    Schielin drückte auf den Klingelknopf und sah skeptisch zu Lydia Naber, die von den Angeboten auf dem Schild irritiert war. Laut las sie vor: »Gebetsheilung, Auratherapie, lösungsorientiertes Kartenlegen, intuitive Astrologie, Heilfühlen, Engelsbotschaften und Körperarbeit.«
    »Das ist doch ein Puff, Mensch«, murmelte sie leise.
    »Psst«, kam es zurechtweisend von Schielin, als der Türöffner summte, »benimm dich anständig und denke an die Feen.«

    Sie hatten kleinere Räume in dem mittelalterlichen Inselhaus erwartet, doch bei der Renovierung war die erste Decke entfernt worden und ein offenes Treppenhaus machte den Raum weit und gemütlich. Sofort kam eine Blonde freundlich lächelnd und mit geschmeidigen Schritten auf sie zu. Zielstrebig und professionell erledigte sie die Begrüßung, äußerte mit leuchtenden Augen ihre Freude über die Ankunft und meinte, es wären gute Kräfte gewesen, die sie heute hierher geführt hätten. Schielin nickte, Lydia Naber lächelte schal und schwieg. Es war sinnvoll die Situation zu erfassen.
    Diese Blonde hatte einen hoch gewachsenen Körper und sie wusste, wie man ihn einsetzte. Im Raum standen noch einige andere Menschen herum, doch im Augenblick gehörte ihre ganze Aufmerksamkeit den beiden Neuankömmlingen. Sie leitete die beiden mit höflicher Bestimmtheit zu ihrem Arbeitsplatz hinter einem schmucklosen Holztisch.
    Sie gehörte zu jenen Menschen, deren Erfolg in der famosen Wirkung des ersten Eindrucks seine Ursache hatte. Dazu kam das Repertoire an einstudierter Höflichkeit, niveauvollem Small Talk und einer Vielzahl von Varianten bedeutungsvoller Blicke und Mienen. Sie hielt diesen Eindruck über längere Zeit aufrecht, als dies gewöhnlich bei Menschen ihrer Couleur der Fall war. Doch die Enttäuschung und Verwunderung waren umso heftiger und tiefer gehender, wenn die Professionalität ihrer Mimikry deutlich wurde, und man erkannte, wie groß die Unabhängigkeit ihres Gehabes von echten Gefühlsregungen, Emotionen und Natürlichkeit war.

    Sie setzte sich nicht einfach auf ihren Bürostuhl, sie vollzog dies mit einer Mischung aus Eleganz und Umständlichkeit, wand ihren Körper mehrmals dabei und suchte mit ihren Augen nach ihrem Gegenüber. Sie wiederholte, wie sehr sie sich freue und meinte, die kurze Einführungsveranstaltung werde gleich beginnen. An Schielin richtete sie mit warmer Stimme die Frage, was ihn persönlich denn veranlasst habe hierherzukommen. Er antwortete kryptisch, Signale bekommen zu haben. Ihr Gesicht bekam einen ernsten, wissenden Ausdruck.
    Lydia Naber bemühte sich den erforderlichen Ernst zu behalten. Sie beantwortete die an sie weitergegebene, gleiche Frage damit, geschickt worden zu sein, was auf der Stirn der Blonden ein paar Falten entstehen ließ.
    Sie notierte die Namen und einiges andere und bat sie dann nach oben, wo bereits andere Suchende versammelt waren.
    Eine freie Holztreppe führte in einen offenen zweiten Stock. Um die fünfzehn Menschen saßen dort auf Stühlen. Ein Beamer warf intensive Farben an die Projektionsfläche, vor der ein klein gewachsener Mann hantierte.
    »Was hast du vor?«, flüsterte Lydia Naber.
    »Wir schauen uns das hier erst mal an.«
    »Es ist eine Einführungsveranstaltung für Suchende, so stand es auf dem Plakat da unten«, flüsterte sie.
    »Dann sind wir ja richtig. Wir suchen ja schließlich wirklich was.«
    Lydia Naber lachte still und presste die Lippen aufeinander.
    Der Mann vorne am Präsentationstisch dimmte das Licht und meldete sich mit unsicherer Stimme. Sein Alter war schwer zu schätzen, irgendwas Mitte fünfzig, dachte Schielin. Er war untersetzt, trug Jeans, ein helles Hemd, dunkelrotes Sakko und

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