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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Vito noch immer verdattert. Bei Mammarosas Anblick hatte er schlagartig daran denken müssen, wie sein Vater ihm als kleiner Junge immer eins überzog, wenn er etwas ausgefressen hatte. Schon seit dem frühen Morgen drückte ihn das schlechte Gewissen, weil er den armen Alten nicht aufgesucht hatte, und als er dessen Hände gespürt hatte, war er wie gelähmt erstarrt, in Erwartung der Bestrafung. Doch jetzt, da er sich wieder gefangen hatte, stieg Wut in ihm hoch, er konnte nichts dagegen tun – jetzt würde er allen Ärger dieses Tages an dem Alten auslassen.
      Mammarosa hörte, wie das Streichholz anging, kurz darauf das Klicken des Lichtschalters und dann Vituzzos Stimme, der fragte: »Willst du mir erklären, was in dich gefahren ist?«
    »In mich ist gefahren, daß sie wieder zurück sind.«
    So wie man mit dem Zug bei hoher Geschwindigkeit in einen Tunnel fährt und die Druckwelle auf die Ohren schlägt, so begriff Vito an dem Sprung, den sein Herz machte, daß er den schwärzesten und längsten Tunnel seines Lebens betreten hatte.
    »Wer, sie?« brachte er gerade noch hervor.
      »Ich weiß nicht, wer sie sind. Doch es sind zwei, der eine hinkt, sein Schritt klingt wie eine Art Ticktack.«
    »Woher willst du wissen, daß sie mich suchen?«
      »Die vergangene Nacht war für mich die Hölle, auch noch, nachdem der Maresciallo mir gesagt hat, daß nichts passiert war …«
      Da hast du mir einen schönen Dienst erwiesen, lautete Vitos stummer Kommentar.
      »… und plötzlich habe ich mich erinnert, daß ich, einige Minuten bevor du gekommen bist, zwei Personen gehört habe, und eine davon hinkte. Das waren keine hiesigen Leute, denn seit einigen Tagen wimmelt es wegen des bevorstehenden Fests im Dorf von Fremden. Danach bist du vorbeigekommen, und es ist das passiert, was wir wissen. Heute abend habe ich mich auf die Lauer gelegt, ich wollte dich abpassen und mit dir reden. Vor einer Minute habe ich die zwei gehört, den Hinkenden und den anderen, die genau wie gestern abend hier vorbeigingen. Ich habe mir gesagt: Du wirst sehen, gleich ist Vito hier. Und schon kamst du.«
      »Aber können es nicht einfach, wie du selbst sagtest, Fremde sein?«
      »Fremde hin oder her, jedenfalls gehen sie dir jeden Abend um hundert Schritte voraus«, meinte der Alte.
      »Das kann reiner Zufall sein«, sagte Vito, doch er wollte Mammarosa nicht widersprechen und versuchte, sich selbst Mut zuzureden.
    »Also, wenn es dir wie purer Zufall erscheint, dann mach die Tür auf und geh. Aber wenn du auf mich hören willst, dann bleibst du heute nacht besser hier.«
    »Hier?«
      »Das Bett ist sauber«, entgegnete Mammarosa. »Das heißt, ich werde auf einem Stuhl übernachten.«
    Er ließ ihm wenig Zeit zum Überlegen.
    »Also, was machst du? Gehst du oder bleibst du?«
      »Ich bleibe«, beschied Vito. Und Gott sei Dank konnte Mammarosa nicht sehen, denn mit einemmal hatten sich die Angst, die Beklemmung, die Müdigkeit und die Wut in seinem Innern zu stillen Tränen verwandelt.

    Vito war blitzschnell verschwunden, so daß der Carabiniere Foti der festen Überzeugung war, er sei um die Ecke gebogen und zum Schlafen nach Hause gegangen. Aus Gewissenhaftigkeit ging er noch zu der kleinen Piazza, an der Vito, wie Corbo ihm erklärt hatte, wohnte, doch er konnte nichts Außergewöhnliches entdecken; da waren nur zwei Personen, die auf dem dunkleren Teil des Platzes miteinander redeten, und an ihren belegten Stimmen war zu erkennen, daß sie ziemlich viel getankt haben mußten. Foti war Vito auf den Fersen, seitdem der Maresciallo auf ihn gezeigt hatte, als dieser gerade den Zirkel betrat; und von dem Augenblick an war es ein richtiger Kreuzweg gewesen: Zuerst ging's bis zu dem Haus in der Nähe der Brücke, dann mußte Foti drei Stunden warten, bis der andere sich entschied, vom Hügel zu steigen, wo er mit den Graukrähen gesprochen hatte, danach folgte der Spaziergang am Meeresufer – wenn sie ihn wirklich erschießen wollten, dann suchte er sich mit todsicherem Gespür die passenden Stellen dafür aus – und am Ende der Kinobesuch. Es war ein amerikanischer Spionagestreifen gewesen, mit einem Geheimagenten, der die Leute umbrachte und Schläge austeilte; immer war er von Frauen umgeben, die, kaum daß sie ihn sahen, auch schon die Beine breit machten. Zumindest in Amerika machte das Polizistsein richtigen Spaß. Er beschloß, daß es Zeit war, in die Kaserne zurückzugehen, und zwar ohne ins Auge zu

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