Haie an Bord
Grad. Position …« Es folgte die genaue Angabe des Standortes und des Kurses. Damit war der Pflichtteil erledigt, Bergson schaltete um auf Empfang.
Er sollte in Kürze ganz andere Funksprüche geben, aber noch war die kleine, abgeschlossene, von Wasser eingerahmte Luxuswelt der ›Fidelitas‹ in Ordnung. Die Passagiere sickerten jetzt vereinzelt in den Frühstücksraum, noch angeschlagen von der langen, durchtanzten Nacht.
Dr. Wolf stieg hinunter auf Deck A und blieb vor der Kabine 187 stehen. Das Gefühl herrlicher Schwere im Herzen war wieder da, dieses göttliche Gefühl, nach einem Menschen Sehnsucht zu haben. Er klopfte an die Tür, aber Eve antwortete nicht. Eiskalt durchzog ihn Erschrecken, er dachte an ihre Worte: Ich will nicht mehr leben, so einfach ist das, und die Angst, zu spät zu kommen, zerbrach jetzt alle noch hindernden Schranken. Er riß an der Tür, sie war nicht verschlossen, er stürzte in die Kabine und rannte zu der Bettnische.
Eve lag unter der Decke, so wie er sie zugedeckt hatte, Rock und Bluse hingen über der Stuhllehne neben dem Bett. Durch das gewölbte Fenster flutete die Morgensonne. Ein Stück unendlichen blauen Himmels war eingerahmt.
»Ich lebe noch –«, sagte Eve, als habe sie Wolffs Gedanken erraten. Ihr Flammenhaar war verschwitzt, klebte an ihrem Gesicht wie blutige Striemen.
»Was macht die Schulter?« fragte Dr. Wolff und setzte sich auf den Stuhl. »Noch Schmerzen?«
»Nein.«
»Das Bein?«
»Die Wunde brennt ein wenig.«
»Wir werden den Verband wechseln. Können Sie aufstehen und ins Lazarett kommen?«
»Ich weiß nicht. Ich habe mich noch nicht bewegt.« Es klang alles so schrecklich eintönig. Frage und Antwort wie aus einem Computer. Sie schlug die Decke zurück, und wieder erweckte der Anblick ihres Körpers in ihm atemlose Bewunderung.
Der Verband war an einer kleinen Stelle durchgeblutet, der linke Arm lag angewinkelt auf der Brust, der elastische Verband saß gut und hatte sich nicht verschoben. Sie hatte wirklich ganz still gelegen.
»Sie sind ein braves Mädchen«, sagte er. »Aber als MTA haben Sie Erfahrung.«
»Sie haben sich über mich informiert?«
»Natürlich. Für die Krankenkartei.«
»Sie hätten mich auch fragen können. Ich bin 29 Jahre alt, mein Vater war Rechtsanwalt, meine Mutter eine damals bekannte Mozartsängerin. Ich habe erst mit 22 Jahren meine Unschuld verloren … spät, nicht wahr? … aber trotzdem ein Fehler. Es war mein erster Mann, und den habe ich geheiratet. Es war auch mein einziger.« Sie setzte sich vorsichtig, und Wolff stützte sie, bis sie die Beine auf den Teppichboden setzen konnte. »Zufrieden? Oder noch Fragen?« Sie blickte an sich herunter und schüttelte den Kopf. »Bein verbunden, Schulter ruhiggestellt … es wird ein Problem sein, mich zu waschen.«
»Ich schicke Ihnen die Krankenschwester rüber«, sagte Dr. Wolff.
»Sie immer mit Ihrer Krankenschwester!« Ihre grünen Augen wurden wütend. »Helfen Sie mir, dann geht's auch. Oder haben Sie noch nie eine Frau gewaschen?«
»Wenn ich scharf darüber nachdenke – nein.« Er half ihr aufstehen, stützte sie bis zu dem breiten Waschbecken und sah sie durch den großen Spiegel dahinter an. Ihre Blicke prallten aufeinander und schienen ineinander zu versinken.
»Sie müssen mir den BH öffnen«, sagte sie. »Ich komme nicht dran, ohne die Schulter zu drehen, und das schmerzt.«
Er löste die schmale Schnalle, die Spitzenkörbchen fielen von den Brüsten ab, er streifte den Halter von ihren Schultern und legte ihn zur Seite. »Danke –«, sagte sie. »Das andere kann ich mit der rechten Hand.«
Er trat zurück, setzte sich an den eingebauten Tisch und starrte sie an, wie sie sich wusch. Das Intime dieser Situation berührte ihn nicht … er fand es merkwürdig natürlich, daß er hier saß und Eve zuschaute, wie sie ihre Brüste einseifte und den Schaum dann mit warmem Wasser wegspülte.
Als sie das Gesicht gewaschen hatte, stand er wieder auf und nahm ihr den Waschlappen aus der Hand.
»An den Rücken kommen Sie nicht ran, Eve«, sagte er. »Wenn's weh tut, treten Sie ruhig nach hinten aus.«
»Ein Arzt sollte zärtliche Finger haben, Bert …«
»Sie wissen meinen Vornamen?«
»Auch ich habe mich erkundigt. Heute früh, beim Steward. Dr. Bert Wolff, geboren in Braunschweig, Alter 30 Jahre, unverheiratet. Seit drei Jahren Schiffsarzt.«
»Informationen für Ihre Kartei? Wozu? Morgen oder übermorgen nehmen Sie sich das Leben.«
»Zwei Tage
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