Haie an Bord
Leben ist eine ganze Menge, und ich bin neugierig. Auch auf den Tod – das macht die Sache so einfach.«
Dr. Wolff seifte ihren Rücken ein, nahm einen Chiffonschal und band damit ihre Haare hoch, und die Berührung ihrer kühlen, glatten, weißen, selten reinen Haut – eine Haut wie aus Porzellan, dachte er – machte ihn glücklich. Er trocknete Eve ab, hängte ihr den Bademantel um und löste den Schal aus ihren Haaren. Wie Feuerstrahlen fielen sie zurück über Eves Gesicht.
»Ich hole das Verbandszeug«, sagte er heiser. »Legen Sie sich wieder hin, Eve. Soll ich für Sie Frühstück bestellen?«
»Später, Bert …«
Er lief aus der Kabine, als flüchte er. Sie blieb vor dem Waschbecken stehen, mit offenem Bademantel, irgendwie hilflos, aus ihrer Planung, die in den Tod führte, weggedrängt, allein gelassen und doch mit dem Gefühl, nicht mehr allein zu sein.
»Warum küßt du mich nicht?« fragte sie, als die Kabinentür zugefallen war. »Ich bin doch schon einen Schritt vom Abgrund wieder zurückgetreten. Warum küßt du mich nicht …?«
Im Wartezimmer saß ein sehr vornehmer, älterer Herr, als Dr. Wolff durch die Tür wirbelte. Der Herr stand auf, verbeugte sich korrekt nach alter Schule und stellte sich vor. »Von Hoffberg. Dr. Wolff?«
»Ja. Bitte, ein paar Minuten Geduld – ich habe einen Unfall zu versorgen …« Wolff wollte ins Verbandszimmer, aber von Hoffberg blieb stehen.
»Ich bin auch ein Unfall, Doktor. Ein peinlicher Unfall. Ein Überbleibsel der vergangenen Nacht, wenn man so will. Es brennt höllisch.«
»Was?« Wolff wandte sich um. Der alte Herr zog die Jacke aus, schob sein Hemd hoch und drehte sich um. Über seinen Rücken zogen sich breite, blutige Striemen … zehn nebeneinanderliegende rote Straßen, in die Haut gegraben.
»Allerhand –«, sagte Dr. Wolff.
»Sie hat unanständig lange und spitze Fingernägel«, antwortete von Hoffberg lakonisch. »Und ein höllisches Temperament.«
»Ich streiche Ihnen nachher ein Wundgel darüber.« Dr. Wolff zeigte auf die offene Tür. Der alte Herr ließ sein Hemd fallen und ging an Wolff vorbei in den Behandlungsraum. Stolz, würdevoll, ganz Grandseigneur … unter Männern sind solche Verletzungen kein Anlaß, das Schamgefühl zu strapazieren.
»Wie alt sind Sie, Baron?« fragte Wolff, während er Penicillinpuder, Salbe und Verbände zusammensuchte.
»Zweiundsiebzig.«
»Gratuliere.«
»Danke. Die frische Seeluft macht mich immer wieder mobil. Ein Jungbrunnen, diese Jod-Salz-Mischung. Ich mache zweimal im Jahr meine Seetour. Dauert's lange?«
»Ich bin in einer Viertelstunde wieder da.« Wolff packte alle Sachen für Eve in eine kleine Ledertasche. »Soll ich Ihnen das Radio anstellen?«
»Nein, danke.« Von Hoffberg setzte sich und vermied es, sich anzulehnen. »Ich werde die Wartezeit mit der Erinnerung an diese Nacht ausfüllen. Bis gleich, Doktor –.«
Wolff nickte, klemmte die Tasche unter den Arm und ging hinaus. Auf dem Gang zur Treppe zum Hauptdeck traf er Lord McHolland. Der Lord rauchte wieder seine Pfeife und war auf dem Weg zu einem stillen Plätzchen.
»Doktor –«, sagte er und hielt Wolff am Ärmel fest. »Eine Frage: Wissen Sie, wie ein Gewehrschloß einrastet?«
»Nein«, antwortete Wolff völlig verblüfft. Ist das ein Morgen, dachte er.
McHolland winkte traurig ab. »Dann kann ich mit Ihnen nicht darüber reden«, sagte er. »Sie hielten mich sonst wahrscheinlich für schizophren. Aber es war ein Gewehrschloß!«
»Sicherlich, Mylord.« Wolff ging weiter. Ein Schiff voll Sklerotikern und Lustgreisen, dachte er. Das kann noch heiter werden. Aber er vergaß alles, als er wieder in Eves Kabine stand.
Der Tisch war zum Frühstück gedeckt. Zwei Tassen, zwei Teller, zwei Gläser mit Orangensaft.
»Feiern wir schon Abschied?« fragte er und schleuderte die Tasche aufs Bett. Ihr Kopf zuckte herum, die Phosphoraugen sprühten. Ihr Ausbruch war so grandios, daß sie den Schmerz nicht mehr spürte, der durch ihre Schulter blitzte.
»Sie sind das Gemeinste, das es gibt!« schrie sie ihn an. »Das Gemeinste! Jetzt will ich noch vier Wochen leben, um Ihnen das heimzuzahlen!«
Sie warf eine Tasse nach ihm, aber er wich aus, umklammerte ihren Kopf, bevor sie zur zweiten Tasse greifen konnte, und küßte sie so lange, bis er wie ein aufs Trockene geworfener Fisch nach Luft schnappen mußte.
»Das wär's –«, sagte er.
Und sie antwortete: »Wenn du den Verband wechselst, reiß ihn nicht so brutal ab, wie du
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