Halb verliebt ist voll daneben - Roman
Melodie aus dem Weihnachtsmärchen.
Richtig seltsam wurde der Abend erst, als wir uns auf der M25 befanden. Diese verdammte Straße.
»Sare?«
»Hm.«
»Weißt du, was ich toll fände?«
»Nicht doch, Schatz. Ich werde jetzt nicht anhalten«, sagte ich.
Er war betrunken. Ich ging davon aus, dass er Appetit auf gebratenes Hühnchen hatte. Doch damit lag ich falsch.
»Du brauchst nicht anzuhalten«, sagte er anzüglich.
»Simon! Keine Handgreiflichkeiten, während ich fahre!«
Mein Entsetzen war verständlich. Ich bin schließlich auch in Bestform nicht die sicherste Fahrerin.
»Auch das meine ich nicht, Baby.«
»Also, was fändest du dann toll?«
»Ein Baby.«
»O nein!«
»Angesichts all dieser Kinder beim Weihnachtsmärchen habe ich überlegt…«
Ich wandte meinen Blick kurz von der Straße ab und sah Simon an. Es sollte ein »Du-bist-betrunken-undtickst-nicht-mehr-richtig«-Blick sein. Aber er verwandelte sich in einen erschrockenen »O-MEIN-GOTT!-ER-MEINT-ES-ERNST! «-Ausdruck, als ich sein Gesicht sah, das sanfter nicht hätte sein können. Was ging da vor sich?
Simon hielt seinen Kopf leicht schräg. Ein verklärtes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Ein Gesicht, wie Männer es kriegen, wenn sie bei Marks & Spencer Männer sehen, die Babys halten. Es lag nicht in meiner Absicht, angewidert die Nase zu rümpfen. Ich wusste nicht einmal, dass ich es tat.
»Sare! Warum siehst du mich mit deinem ›Mist-ichmuss-noch-die-Steuererklärung-machen‹-Gesicht an?«
»Tue ich gar nicht.«
»Tust du wohl.«
Pause.
»Mist, ich muss noch meine Steuererklärung machen.«
Pause.
»Baby.«
»Was?«
»Warum hast du das Thema gewechselt?«
»Weil du betrunken bist.«
»Bin ich nicht.«
»Bist du schon.«
»Bin ich nicht.«
»Aah! Es ist wie im Weihnachtsmärchen! Er ist hinter dir! Du bist sturzbesoffen. Du hattest deine Hände überall auf diesem Mädchen. Es war peinlich. Und jetzt bist du völlig … meschugge.«
»Sare! Was ist denn los mit dir?«
»Mit MIR? Du bist doch derjenige, der ein einziger Albtraum ist.«
Und begann gleich darauf, Simon seine Trunkenheit gebetsmühlenartig unter die Nase zu reiben, während mich dabei nur ein Gedanke beherrschte: BABYS! ER GLUCKT! WAS FÜR EIN MIST!
Wissen Sie, ich stand noch nie besonders auf Babys. Alle sagten immer: Oh, ist er oder sie nicht süß?, und ich stand immer dabei und dachte mir: Nein! Es sieht aus, als wäre es gerade durch ein sehr kleines Loch gepresst worden. Und der Gedanke, etwas von der Größe eines Highland-Terriers durch mein sehr kleines Loch zu pressen, das dabei zur Größe eines Eimers mutieren würde und zur Belohnung ein schreiendes Etwas zu bekommen, das ständige Aufmerksamkeit forderte, hatte mich noch nie besonders angesprochen.
Irgendwann einmal wollte ich schon ein Baby mit Simon haben, die Idee, ein kleines Stück von uns zu bekommen, war zugegebenermaßen verlockend. Aber nicht jetzt! Nicht in den nächsten Jahren. Nicht, bevor ich es beruflich zu was gebracht hatte. Oder jedenfalls erst dann, wenn ich glaubte, die Weisheit zu besitzen, so ein kleines Wesen aufziehen zu können. Jetzt war Üben angesagt. Ich war mir sicher, dass sich irgendwann auch bei mir der Bruttrieb meldete, und dann würde ich ihn mir packen und sagen: Lass es krachen, großer Junge!
Aber jetzt noch nicht. Ich fand es unfassbar, dass er es überhaupt vorgeschlagen hatte.
Wir fuhren schweigend weiter.
6
Am nächsten Tag erwähnte keiner von uns den Streit oder das Baby-Thema. Der einzige Hinweis, den ein geschickter
Schnüffler hätte entdecken können, war mein vehementes Überspringen des Stücks When a Child is Born auf Mums schrecklicher Weihnachtslieder-CD.
Und wir verbrachten einen schönen Tag. Der sich aus meinen liebsten Weihnachtsvergnügungen zusammensetzte:
Vor dem Aufstehen einen Karamell – und einen Schokoriegel essen.
Vor dem Mittagessen Champagner im Morgenrock trinken.
Knusprige Bratkartoffeln und Truthahnhaut verspeisen.
Zwei Nickerchen auf dem besten Sofa halten.
»Val, das war köstlich!«, lobte Simon meine Mutter nach dem Weihnachtsessen.
Wir saßen zu viert um den Esszimmertisch. Vollgefuttert mit Festtagsköstlichkeiten. Sämtliche Gürtel am Tisch waren gelockert und in meinem Fall war auch der Reißverschluss meiner Hose geöffnet worden. Doch das hieß nicht, dass wir zu essen aufgehört hätten. Der Käse stand noch auf dem Tisch, ebenso die Baileys-Eiscreme. Besser gesagt, ich hatte sie in der Hand.
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